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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 27. November 2020

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute also schwarz: Black Pandemic Friday Sale! Auch die britische Kultband Tiger Lillies bietet – notgedrungen – auf ihrer Webseite fast ihre gesamten Werke zum halben Preis an. Aber eben nur heute … »remember, on Saturday everything will be as expensive as it was on Thursday!« Mark Adams hingegen, der so charmante wie hartnäckige Geschäftsführer von Vitsœ, schließt seine Läden gerne symbolträchtig an diesem Tag: keine Rabatte, nie! Denn: »Wer Rabatt erhält, wird unfreiwillig subventioniert von all jenen, die keinen bekommen. Das ist nicht wahrhaftig, nicht ehrlich. Das ist respektlos!«

Ausgerechnet morgen, eingebettet in den längst zum langen Wochenende oder gar zur Woche gewordenen schwarzen Freitag, wird Friedrich Engels 200. Geburtstag gefeiert – welch schöne Koinzidenz. Ist dieser Kaufmann und Journalist, Fuchs- und Schürzenjäger, Gesellschaftstheoretiker und Revolutionär doch weitaus vielseitiger, als die weithin bekannten und folgenreichen, mit Karl Marx zusammen verfassten Schriften wie Das kommunistische Manifest oder Das Kapital vermuten lassen. Die Beschäftigung mit der Dialektik der Natur bringt ihn so in seinem Aufsatz Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen nicht nur mit evolutionären Aspekten in Berührung. Sondern führt auch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Hand. Denn, so Engels, die Hand ist »nicht nur das Organ der Arbeit, sie ist auch ihr Produkt. Nur durch Arbeit, durch Anpassung an immer neue Verrichtungen, durch Vererbung der dadurch erworbenen besonderen Ausbildung der Muskel, Bänder, und in längeren Zeiträumen auch der Knochen, und durch immer erneuerte Anwendung dieser vererbten Verfeinerung auf neue, stets verwickeltere Verrichtungen hat die Menschenhand jenen hohen Grad von Vollkommenheit erhalten, auf dem sie Raffaelsche Gemälde, Thorvaldsensche Statuen, Paganinische Musik hervorzaubern konnte.«

Kunst und Kultur als besonders wertvolles Ergebnis menschlichen Handelns leiten mich unweigerlich zurück zur Solidarität, die in diesen Tagen gefragt ist. Leute kauft! Jetzt und unbedingt die Tiger Lillies und alles, mit dem ihr die Künste und die Künstler, das Kreative und die Kreativen unterstützen könnt. Am besten zum doppelten Preis am Tag der halben Preise.

8daw-Leser aller Länder, vereinigt Euch!
Boris Kochan

 
 
Das unglaublich schlichte und nachhaltige Programm von Vitsœ besteht aus Regalen, Stühlen und Tischen. Punkt. Alles entworfen vor langer Zeit von Dieter Rams, behutsam weiterentwickelt gemeinsam mit Mark Adams und seinem Team.

Nähe satt
 

Oktober. Die erste Weihnachtswelle schwemmt Lebkuchen und Lichterketten in die Supermärkte. Lockdown light dann im November. Martinszug mit gebotenem Abstand. Aber Weihnachten feiern wir so, als wäre es das letzte Mal. Mit der ganzen Familie, alle an einem Tisch, Nähe satt. Die Vorfreude muss bis Weihnachten lodern. Hilft ein Adventskalender? Einer? Es gibt Adventskalender mit Schokobananen, Salami-Sternen oder Kondomen, für Barbie-, Lillifee- oder Playmobilfans, für Angler, Briefmarkensammler, Tee-, Bier- oder Schnapstrinker, für »24x leuchtende Hundeaugen«.

Für Flinke gibt’s am Black Friday vorm ersten Advent noch fette Rabatte. Idee aus Amerika: Der Freitag nach Thanksgiving läutet den weihnachtlichen Kaufrausch ein. Die Läden öffnen frühmorgens und überbieten sich mit Sonderangeboten, Werbegeschenken und Preisnachlässen. Kunden warten schon nachts vor den Geschäften, um beim ersten Run auf die Schnäppchen dabei zu sein. Über das Black vor Friday wird wild spekuliert: Dieser Tag katapultiert den Handel aus dem Minus – ab jetzt werden schwarze Zahlen geschrieben. Oder: Schauen die Menschenmassen vor den Geschäften nicht wie eine große schwarze Masse aus? Eher unwahrscheinlich ist die Erinnerung an den Schwarzen Freitag, den Tag des Börsencrashs – denn aufgrund der Zeitzonen war der Donnerstag in New York noch gar nicht zu Ende. Weswegen der Schwarze Freitag dort Black Thursday heißt.

In Abstandszeiten sei noch auf den Cyber Monday hingewiesen. Er feiert die Schnäppchenjagd – ausschließlich und virenfrei! – im Netz. Und Weihnachten? Zuerst braucht es noch eine »gemeinsame nationale Anstrengung«, vorgezogene Schulferien, weitere Kontaktbeschränkungen, um sich über Weihnachten ein paar lockere Tage erlauben zu können. Also wir planen jetzt ein Frühlingsfest. Mit der ganzen Familie. Alle an einem Tisch. Nähe satt. [gw]

 

Money, Money … die Macht des schnöden Mammons, wie oft wurde sie besungen. Von Abba bis Pink Floyd und Elvis Presley. Den herrlichsten und zugleich bitterbösesten aller prekär-pekuniären Songs lieferten aber Liza Minelli und ihr kongenialer Partner Joel Grey in Bob Fosses Musicalfilm Cabaret ab: Money Money – mit einer noch immer hinreißenden Performance.

 
 
Schon 1968 prügelten sich die Schnäppchenjäger in Philadelphia, links in der Chestnut Street. Rechts erbauen die zwei Jongleure Keith Eveslage und Eric Belcher im traditionsreichen, mittlerweils von Macy's übernommenen Kaufhaus Strawbridge & Clothier hemmungslose Kunden im Kaufrausch.

Ein Gespenst geht um …
 

Wenn schon die Deutsche Post zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels einen Gedenkbriefumschlag herausbringt, könnte man meinen, der Sozialrevolutionär, Unternehmer, Philosoph und »Champagner-Kommunist«, wie Tristram Hunt den Visionär aus Wuppertal in seiner großartigen Biografie ein bisschen frech, aber nicht ohne Sympathie titulierte, sei inzwischen selbstverständlich eingemeindet ins deutsche Heldenverehrungswesen. Dass dem nicht so ist, hat ausgerechnet der Schirmherr der anstehenden Gedenkfeierlichkeiten vorgeführt, der es sich nicht verkneifen konnte, darauf hinzuweisen, dass in der DDR unter Berufung auf Marx und Engels den Menschen »Freiheit, Bürgerrechte und Demokratie« vorenthalten worden seien. Das stimmt zwar irgendwie, aber gleichzeitig war genau das auch das Resultat einer völlig verdrehten Rezeption derer Ideen.

Hätten sich realsozialistische und kommunistische Machthaber nur an dem gut zweieinhalbtausend Seiten langen, ultrakomplizierten Text des Kapitals abgearbeitet, dann wäre der Lauf der Geschichte vielleicht ein anderer geworden. Womöglich hätten sie ermattet von der schweren Kost abgewunken und vernünftige, vielleicht sogar nützliche Berufe ergriffen. Aber da war ja auch dieser plakative, kämpferische Ton des Manifests der Kommunistischen Partei aus dem Jahr 1848, der die Gemüter so sehr in Wallung brachte: »Ein Gespenst geht um in Europa« …

Das wurde gar zum geflügelten Wort. Gemeint war der Kommunismus, aber 1848 gingen auch noch ganz andere Gespenster in Europa um: die gnadenlos durchgesetzten Restaurationsbestrebungen der Monarchien, denen eine hoffnungsvoll aufbegehrende Demokratiebewegung gegenüberstand. Das war die Revolution der 48er und ihr Höhepunkt in Deutschland: die Versammlung des ersten gesamtdeutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche. Engels war an der Seite der Revolutionäre und so ist der rebellische Ton des Manifests sicherlich nicht nur dem jugendlichen Impetus seiner Verfasser, sondern auch den aufwühlenden Ereignissen jener Jahre geschuldet. Vielleicht sollte der stets etwas betulich daherkommende Schirmherr der Wuppertaler Feierlichkeiten, Armin Laschet, auch daran denken, wenn er davon träumt, demnächst als Kanzler im Bundestag zu den Nachfolger·innen jener ersten deutschen Parlamentarier zu sprechen. [um]

 

Während der 1848er Revolution war Friedrich Engels zuletzt noch am Badischen Aufstand beteiligt, der vom Kartätschenprinz Wilhelm Friedrich von Preußen blutig niedergeschlagen wurde. Unter den badischen Revolutionären war auch ein gewisser Carl Schurz, der wie tausende andere nach der Revolution fliehen musste und schließlich in die USA gelangte. Dort machte er eine erstaunliche politische Karriere. Der erklärte Gegener der Sklaverei wurde 1877 amerikanischer Innenminister, er reformierte die Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung und setzte sich ganz ökologisch für den Erhalt der Wälder ein. So hat dieser unerschrockene Fourty-Eighter etwas von dem Geist der 48er Revolution bis ins ferne Amerika getragen ...

 
 
Freitag ist eine Interpretationsfrage – zumindest, wenn es um denjenigen geht, der im Jahreskaufverlauf als Schwarz festgelegt ist. Denn auch im Valley River Center in Eugene strömen die Menschen mittlerweile je nach Marketingstrategie schon an Thanksgiving selbst in die Läden ... oder kaufen rund um die Uhr im Internet.

Richtig Kohle machen
 

»Kauf schon, Konsumentenschwein!« Ungefähr so subtil kommt sie zumeist daher – die Abverkaufswerbung zum Black Friday. Als wende sie sich an Hirntote, bei denen nur noch die Reflexe funktionieren. Was zur Organspende recht ist, ist zur Entnahme der Kreditkarte nur billig – oder sagt man jetzt besser: teuer? Das allfällige Anzeigenkonzept jedenfalls ist mehr als einfach, setzt auf starke Kontraste, gern in Schwarz, Weiß und Rot (oder starker Hausfarbe), fette Lettern kreischen: Nimm mich!!! Und dreschen mit Prozentzahlen auf den Verbraucher ein.

Der solcherart mit der Keule bedrohte Schnäppchenjäger ist natürlich selbst der Gejagte, doch auch der Händler auf Beutefang steht längst nicht am Ende der Nahrungskette. Ihm rücken nicht nur die Konkurrenten auf den Pelz, nein, im archaisch-kapitalistischen Überlebenskampf lauert wie überall eine Fußangel: der Abmahnanwalt. Dass sich um Magenta, Gelb und Lila streiten lässt, ist bekannt. Aber Schwarz? In Kombination mit dem Wochentag bringt das richtig Kohle! Da hat sich doch glatt jemand das Patent für die Wortmarke Black Friday gesichert, was den Nervenkitzel bei der Schlacht weiter anheizt und die Kreativität wenigstens ein bisschen fördert. Green is the new Black wirbt nicht nur ein Suppenhersteller. Und richtig Kreative stellen mit schwarzem Humor die Idee auf den Kopf: Cards Against Humanity LLC, die dieses Jahr ihr gesamtes Black-Friday-Budget an NGOs spenden, haben 2019 den Preis für ihr Gesellschaftsspiel für diesen einen berühmt-berüchtigten Tag um 5 $ erhöht. Der Umsatz? Stieg! Quod erat demonstrandum. [sib]

 
 

Der weltgrößte Logistikdienstleister mit angeschlossener Bestellplattform lässt in seinem 2019er-Black-Friday-Video »Let the deals come to you« zum menschenähnlichen Roboter mutierte Pappschachteln sprinten. Ein echtes Animations-Highlight – quasi einem kämpferischen Amazonenhirn entsprungen, einerseits. Es will dabei, andererseits, so gar nichts anziehend-mystisches aufkommen, wohl eher sehr unfreiwillig veranschaulicht der Clip eine tief-dumpfe, innere Leere des Verbrauchers. Das umweltfeindliche Kartonwesen namens Hyperkonsum steht zudem für all das, weshalb das französische Parlament ein Black-Friday-Werbeverbot durchsetzen wollte. Vergeblich. Schlimmer noch: Nachdem die Regierung zur Schonung der Lockdown-geschundenen lokalen Händler um Verschiebung des Black Friday in Frankreich gebeten hatte, stimmte besagtes Onlineportal zu. Die fatale Folge: Nun können die Schnäppchenjäger gleich zweimal zuschlagen – online ist schließlich grenzenlos.

 

Das Fundstück der Woche

 
 

Noch am Mittwoch war Till Brönner zu einer leider nicht öffentlichen Anhörung im Kulturausschuss des Bundestags – bei der es wohl hoch her ging, immerhin hat er zuvor in einer aufwühlenden Videobotschaft die Regierung für den Umgang mit Künstlern und Kreativen massiv kritisiert. Gestern kam dann die schöne Nachricht, dass seine Idee eines House of Jazz in Berlin nun mit 13,2 Mio. Euro vom Bund finanziert wird: Hut ab! Eine schöne Chance, gute Laune zu feiern mit dem Will Mastin Trio und darüber Konsum, Kapitalismus und Covid-19 mal kurz komplett zu vergessen ...


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, boriskochan.com, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
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Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
No Sale von Vitsoe
Zeitungsartikel aus the philadelphia inquirer
Midnight Madness: Fotografiert von Brian Davies


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