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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 5. Februar 2021

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

»I do not smoke, I just don't sleep« krächzt diese Frau mit der unverkennbaren Stimme am Ende ihres Songs Get It While You Can im Sommer 1970 im McMahon Stadium in Calgary ins aufgepeitschte Publikum. The City never sleeps – egal welche! 
          Wenn sie schreit, wimmert, faucht, wenn sie wippt und auf den Boden trampelt. Mit den Armen schwingt. Und singt, zunächst »noch ganz ruhig, warm, weich – dann plötzlich scharf und spitz«. »Bauch, Brust, Hals, Rachen, Kopf, Nase« nutzt sie als Resonanzraum: Janis Joplin. Auch wenn die große Wiese Woodstock 1969 ihrer Bekanntheit noch einmal einen großen Kick gegeben hat ... ihre Sehnsucht nach dem Ausbruch aus dem biederen Zentrum texanischer Ölindustrie Port Arthur, nach der großen Stadt, nach dem wilden rauen Leben in Austin und San Francisco hat ihren Lebensweg geprägt. Die – wie anlässlich ihres 50. Todestages im letzten Jahr Stefan Hentz in der NZZ schreibt – »etwas schwierigere Tochter einer einfachen texanischen Familie« ist ohne das Urbane kaum vorstellbar. 
          Der Musiker, Komponist und Theoretiker Christopher Dell hat gerade ein lesenswertes Essay veröffentlicht unter dem schönen Titel Die Stadt als Improvisationsmaschine. Und irgendwie komme ich nicht umhin, Stadt und Musik, die City und den Blues ineinander verschmelzen zu lassen – gerade jetzt, wo Stadt nur noch so wenig Stadt ist ohne Kultur und Gastronomie und …  
          Wenn in den langen Nächten Stadt und Sängerin sich »ganz und vorbehaltlos« dem »Taumel ihrer Ekstase« überlassen, schreien und kreischen, wimmern und flimmern, hauchen und fauchen. Und dann in den letzten Momenten aber, in denen sich Stadt und Song ganz aufgelöst zu haben scheinen, Stimme und Sound eins werden, auf ihren Urgrund zurück­sinken und sich zum puren Klang-Körper wandeln.

Schönes Wochenende!
Boris Kochan

 

Mit über 55 Millionen Medien ist die New York Public Library eine der drei öffentlichen Bibliotheken in New York City und zugleich eine der größten der Welt. Wer auf der Suche nach historischen Fotografien von Städten ist, wird die ca. 180.000 hochaufgelösten Bilder schätzen, welche die Bibliothek online kostenfrei zur Verfügung stellt. Aus diesem Fundus haben wir uns für diese sehr urbane 8daw-Ausgabe bedient.

 
 

Beinahe verlassen wirkt die New Yorker Stadtkulisse 1936 – und das nur einen Block vom Broadway entfernt. Die mächtige Stahlkonstruktion der Manhattan Bridge kündet schon von einer neuen Zeit ..., während sich auf den Straßen noch Pferdefuhrwerke und Automobile begegnen.


Wohnzimmer to go
 

Nach Studien der Vereinten Nationen werden 2050 etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung in Ballungsräumen leben. Es wird eng, teuer, einsam – zu viele Menschen auf zu geringem Raum, die kaum Verbindung zueinander haben. Wenn Home und Office näher zusammenrutschen, wird knapper Wohnraum noch knapper. Wo wäre dann Raum für Nachbarschaftstreffen, die üppige Kochorgie mit Freunden, das Zusammenspiel des schrägen Streichquartetts?
          Gut, dass eine Idee des Soziologen Ray Oldenburg wieder den Weg in die öffentliche Diskussion gefunden hat. In The Great Good Place teilt er 1989 unsere Lebensräume in erste, zweite und dritte Orte. Der erste Ort ist unser Zuhause, der zweite unser Arbeitsplatz, als dritte Orte beschreibt er öffentliche oder halböffentliche Räume zur Begegnung, Kommunikation, Entspannung. Das können Bereiche im Bahnhof sein, in Parks, Kulturstätten, Volkshochschulen oder Bibliotheken, natürlich auch in Kirchen oder Waschsalons. Die eigenen vier Wände sind nicht länger der zentrale Lebensmittelpunkt, sondern werden ergänzt durch externe Wohnzimmer, die als Kontakt-, Lern- oder Erfahrungsräume dienen oder einfach nur dem Da-sein. Der Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre formuliert 1968 das Recht auf Stadt und meint damit die Freiheit zur Gestaltung der Stadt durch die Menschen, die in ihr leben. So werden Third Places zum Angebot und Auftrag, fordern Teilhabe und Mitgestaltung. [gw]

 

nomad, das Magazine for New Design Culture, Business Affairs und Contemporary Lifestyle wird fünf Jahre alt. Getrieben von Wunsch, Design aus der Umklammerung von ästhetischen Vorgaben zu lösen und im Kontext von Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie, Lifestyle und Kultur neu zu betrachten, entfaltet dieses sehr urbane Magazin heute sein erweitertes Designverständnis mit souveräner Leichtigkeit und einem tiefen Interesse am einzelnen, gestaltenden Menschen. Aktuell erhältlich ist die No 9.


 
 

Schon damals ein Anachronismus mit Sensationspotenzial: Während am Pier 11, der Anlegestelle der New Yorker Fähren, eigentlich Raddampfer qualmten, erinnert das Segelschiff an die ersten Siedler. Ankunft in Metropolis, einer neuen Welt wie aus einem frühen Science-Fiction-Film, die sich durchaus auch bedrohlich auftürmt (vermutlich festgehalten von Berenice Abbot).


Wenn die Lichter ausgehen …
 

Als Jack the Ripper 1888 im Nebel des Londoner Armenviertels Whitechapel  sein Unwesen trieb, galt die Metropole an der Themse mit damals sagenhaften knapp sechs Millionen Einwohnern als die größte Stadt der Welt. Der Kolonialismus (die blutig-grobe Form der Globalisierung) und die industrielle Revolution hatten dem Empire mächtig Geld in die Kassen gespült, aber auf der anderen Seite ein Heer von hoffnungslos prekären Existenzen hervorgebracht. Whitechapel war ein Ghetto solcher verlorenen Seelen, in dem im Schutze der Nacht finsterste Kriminalität gedieh.           

So weit wird es trotz unersprießlicher wirtschaftlicher Aussichten hierzulande vermutlich nicht kommen. Aber wer des nächtens in einer der innerstädtischen Fußgängerzonen unterwegs ist, den können auch heute albtraumhafte Gefühle beschleichen: Waren das nicht gerade Schritte hinter mir? In dieser gottverlassenen Ödnis … – und jetzt drohen dort auch noch die Lichter auszugehen, wenn etwa eine Modekette wie H&M oder die Parfümerie Douglas  und manch andere Unternehmen ihre Filialen gleich zuhauf dicht machen. Was also tun, mit all dem Leerstand.

Urban Arts Infusion ist der Überbegriff einer mittlerweile international zu beobachtenden Bewegung, Künstler·innen wieder in die Innenstädte zurückzuholen, auch um sich der Ausbreitung urbaner Wüsten verwaister Geschäftsräume entgegenzustemmen. Wäre das nicht ein Traum, eine Innenstadt der Künste, Cafés und kleiner, individueller Ladengeschäfte? In Whitechapel hat das ganz gut funktioniert. Zwar liegt das Viertel nicht im aller innersten Herzen der Stadt, aber doch nur ein paar Gehminuten davon entfernt – und es ist heute ein ziemlich hippes Quartier mit Galerien, Bars und kleinen Märkten. Für diesen Wandel haben die Londoner allerdings gut hundert Jahre gebraucht. Es wäre prima, wenn sich das hier und heute etwas rascher bewerkstelligen ließe. Erste Anzeichen dafür gibt es immerhin und das nicht nur in den Metropolen. Denn Kunst gehört in die Gesellschaft – und zwar mitten rein! [um]

 

Innenstädte und Innerstädtisches Leben: Mit wachsendem Transformationsdruck findet auch deren Zukunft gehäuft Eingang in den öffentlichen Diskurs – und das ist gut so. In ihrer neuesten Ausgabe hat sich die Zeitung des Deutschen Kulturrats, Politik & Kultur nun auch höchst ausführlich und lesenswert dem Thema Stadtkultur angenommen.


 
 

The City that never sleeps – Urbanität hieß im Zentrum New Yorks auch schon in den dreißiger Jahren  lärmiger Verkehr und geschäftige Menschenmassen. Als dieses Foto 1937 entstand, hatte die Stadt noch immer schwer mit den Folgen des Börsencrashs, dem legendären schwarzen Donnerstag zu kämpfen – als endlich Bürgermeister Fiorello LaGuardia durch ein massives Hilfsprogramm New York buchstäblich wieder auf die Beine brachte.


Urbanität – ein fragiles Konzept
Ein Gastbeitrag von Alexander Grünenwald
 

Urbanität wie wir sie uns vorstellen – mit all ihren liebgewonnenen ökonomischen und kulturellen Verdichtungen ... aber auch den negativen Folgen klimatischer und psychosozialer Belastung, befindet sich in einem umfassenden Wandel. Besonders davon betroffen sind die europäischen Innenstädte. Sie unterscheiden sich in ihrer Nutzungsdichte und Gestalt von allen anderen Teilen der Stadt, sind häufig ein emotionaler Bezugspunkt der Stadtbürger und fungieren als eine Art lebendiges Geschichtsbuch auch als das Gewissen der Stadt.
          Globalisierung, Privatisierung und Ökonomisierung machen jedoch gerade die Innenstädte zunehmend zum Spielball kommerzieller Interessen. Steigende Bodenpreise, Investorendruck und Gentrifizierung führen zur Verdrängung ursprünglich bürgerschaftlich geprägter Nutzungsgeflechte. Stadtplanung als eine an Fürsorge und Gemeinwohl orientierte Aufgabe der Stadtpolitik tritt vielfach machtlos in einen strategiebefreiten Hintergrund. Das Ergebnis ist eine europaweite Uniformierung der Innenstädte. Überall dominieren die gleichen, globalen Handelsketten. Mit der Corona-Pandemie wird die ganze Problematik der ihrer Nutzungsvielfalt beraubten Innenstädte noch deutlicher, unterwirft sie doch die letzten Identifikations- und Attraktionsanker, Gastronomie und Kultur, einem ruinösen Lockdown.
          Damit Innenstädte wieder Orte der Begegnung, des gemeinschaftlichen Wirkens und der kulturellen Betätigung und Erfahrung werden, müssen völlig neue Gebäude- und Freiraumnutzungen erprobt werden. Es gilt die Bürgerschaft jenseits kommerzieller Bezüge in soziale und kulturelle Interaktion zu bringen und dafür müssen politisch regulierte und arrangierte Spielräume geschaffen werden. Nur so lassen sich Experimentierfelder für gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen schaffen. Der Schlüssel für einen innovativen Umgang mit Planungs- und Entscheidungsprozessen liegt in einer neuen Kultur der bürgerschaftlichen Mitsprache. Professionell aufgesetzte partizipative Verfahren können dabei auch entscheidend zu einem ökologischen Umsteuern beitragen und bauliche und soziale Nachhaltigkeit zur Handlungsmaxime werden lassen.

 

Dieser Gastbeitrag ist eine stark gekürzte Fassung eines Essays von Alexander Grünenwald, welches im MCBW Creative Book Shaping futures by Design Ende Februar erscheint. Das 8daw-Team hat die Redaktion dieses Buches übernommen – und so können wir den 8daw-Lesern einen gerade neu etablierten Service anbieten: Die kostenfreie Übersendung der zur Münchner Designwoche MCBW erscheinenden Drucksachen an die Privatadresse. Mit diesem Link öffnet sich ein E-Mail-Fenster zur Hinterlegung der Adresse.


 
 

Irgendetwas Aufregendes scheint sich abzuspielen, das sogar die Nachbarn an Fenster und Balkons lockt und Dorothea Lange, eine Ikone der Dokumentarfotografie dazu bewog, auf den Auslöser drücken. Oder ist es einfach nur das Postamt als Ort der Begegnung? Man ruft einander zu, wechselt Worte, unvermittelt entsteht Nähe im Alltag der Lower Eastside, des historischen New Yorker Einwandererviertels.


Das Fundstück der Woche

 
 

Pisa ganz ohne Studie überall – schon seit mehr als zehn Jahren steht dieser schiefe Turm wohl in der 5th Street in Philadelphia. Wie einfach sich doch Innenstädte beleben lassen ...


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis: 
Pike and Henry Streets, Manhattan. 1936: Photo by The New York Public Library on Unsplash 
Theoline, Pier 11 or 12, East River, Manhattan. 1936 Photo by The New York Public Library on Unsplash
Tempo of the City: II, Fifth Avenue and 42nd Street, looking west from Seymour Building, 503 Fifth Avenue, Manhattan. 1937, Photo by The New York Public Library on Unsplash
New York City. Post office, Lower East Side, 1936. Photographer Dorothea LangePhoto by The New York Public Library on Unsplash
Fundstück: Kate McGovern (Webseite)


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