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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 14. Mai 2021

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

standhalten, ertragen, aushalten, aufrechterhalten – im englischen to sustain schwingt eine eher passive Haltung mit. Und dieses Gefühl von kleiner werdenden Räumen, von Regelungen und Verboten. Ob sich so eine lebenswerte Zukunft gestalten lässt? Der Verfahrenstechniker und Cradle-to-Cradle-Erfinder Michael Braungart meint eindeutig: nein! Und erzählt in seinen kurzweiligen Vorträgen gerne Geschichten wie jene aus China, in der die zum Abendessen geladenen Gäste bitte so lange bleiben, bis sie die mit der Mahlzeit aufgenommenen, äußerst wertvollen Nährstoffe wieder ausgeschieden haben. In seinem Buch Intelligente Verschwendung folgert er (auch in vielen weiteren lesenswerten Beispielen): »Die Menschen haben primär kein Problem der Umweltverschmutzung, sie haben ein Designproblem. Wenn die Menschen die Produkte, Werkzeuge, Möbel, Häuser, Fabriken und Städte von Anfang an intelligenter gestalten würden, müssten sie an Dinge wie Verschwendung, Verschmutzung oder Mangel nicht einmal denken. Gutes Design würde für Überfluss, ewige Wiederverwendung und Vergnügen sorgen.«

Mit solchen Gedanken im Gepäck hat sich zum Ende der letzten Woche eine Gruppe von Designer·innen in einen Online-Workshop des Deutschen Designtags aufgemacht: Wie kann es gelingen, die Branche Design selbst noch einmal sehr grundlegend für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren? Wie können wir mit der dem Design innewohnenden, kreativen Kraft zum Neuen, zur Transformation dazu beitragen, die Klimakatastrophe abzuwenden? Und wie vermitteln wir das überzeugend, was mit Design möglich ist, bestehenden und potenziellen Auftraggebern genauso wie einer interessierten Öffentlichkeit, wie Politikern und all den vielen Menschen, die für Verfahrenswege, Verordnungen und Gesetze in Ministerien und Ämtern verantwortlich sind? 

Unsere kleine Redaktion hat diesen Workshop begleitet und wird an der Formulierung der Ergebnisse mitwirken – und natürlich gelegentlich in 8daw darüber berichten. Schon mal vorweg: Alle Arbeitsgruppen waren sich darin einig, dass es Erlebnis- und Begegnungsräume braucht, um Menschen aller Art Herausforderung und Perspektive begreifbar zu machen. Oder die gedanklichen Purzelbäume eines Michael Braungarts: Die nunmehr sogar in Banken kaum noch gebräuchliche Krawatte könnte ein echter Zukunftstrend werden ... leicht stranguliert lässt sich die Raumtemperatur um zwei Grad senken.

Ich wünsche ein schönes Wochenende!
Boris Kochan

 

Michael Braungart wirkte übrigens ab 1982 beim Aufbau des Bereichs Chemie von Greenpeace Deutschland mit, den er dann von 1985 bis 1987 leitete. Ein anderer Greenpeace-Aktivist, der Fotograf Markus Mauthe, hat uns für diese 8daw-Ausgabe eine kleine Auswahl seiner irritierend-ästhetischen Aufnahmen indigener Völker zur Verfügung gestellt: Mit seiner Arbeit möchte er ganz entscheidend zum Erhalt unserer – aller! – Lebensgrundlagen beitragen. Für sein Film-, Buch- und Vortragsprojekt An den Rändern der Welt hat er drei Jahre auf 13 Reisen 22 indigene Völker in entlegenen Regionen besucht und porträtiert.


 
 

Mundari, Südsudan


Wie viel kostet eigentlich Freude?
 

Was hat Nachhaltiges Design mit einem Blaukehlchen zu tun? 1983 berechnet der Biochemiker, Systemforscher und Umweltexperte Frederik Vester in Der Wert eines Vogels den Preis eines Blaukehlchens zunächst aus seinem Materialwert (Fleisch, Blut, Federkleid, Mineralien, die das Skelett enthält) mit 1,5 Cent. Dazu summiert er die Leistungen des Vogels als Schädlingsbekämpfer, Ausbringer von Samen, Indikator für Umweltbelastungen und Symbiosepartner. Fürs Freudeschenken durch Farben-, Formen-, Gesangsvielfalt und die Eleganz seines Flugs setzt Vester den Gegenwert einer Valiumtablette pro Tag an. Insgesamt beziffert er die Jahresleistung eines Blaukehlchens mit 154,09 Euro. Und schenkt uns damit ein brillantes Beispiel für vernetztes Denken. Ein Denken, das die lineare Folgerichtigkeit verlässt, das in Beziehung setzt, eine Aufgabe aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und zu lösen versucht. Multiperspektivisches Denken ist eine Voraussetzung für die Entwicklung zukunftsfähiger Lösungen, das zeigte auch der schon erwähnte Workshop des Deutschen Designtags: Nachhaltiges Design ist ein Treiber des Wandels … vom Elfenbeinturm zum Runden Tisch, von hierarchischen Strukturen zu Begegnungen auf Augenhöhe, vom Bestehen auf dem eigenen Standpunkt zur Öffnung für andere Sichtweisen. Freude inklusive. [gw]

 

In spanischen Werkzeugläden kann man noch traditionelle, hölzerne Heugabeln entdecken. Ihre CO2-freie Herstellung: Die Triebe von jungen Zürgelbäumen werden beim Wachsen in eine Vorrichtung gespannt, damit sich alle Äste in eine Richtung entwickeln. Nach vier bis fünf Jahren wird die Heugabel geerntet und beim Trocknen in Form gebogen. So eine Heugabel stand jahrelang am Auerberg herum – einfach so, zum Anschauen. Dann kam die Idee, ihr eine neue Funktion zu geben. Ein Stahlfuß, der die natürliche Schönheit der Heugabel unterstreicht, macht sie jetzt zur Spanischen Garderobe.


 
 

Himba, Namibia


Papanek in Sicht!
 

Inzwischen werden sogar nachhaltiges Sexspielzeug und ebensolcher Alkoholkonsum im Netz angepriesen. Ob sich Letzteres auf die Ressourcen-schonenden Qualitäten des Getränks bezieht oder eher auf den Kater danach? Und wie ist das eigentlich bei Ersterem? Dass scheinbar gar nichts mehr nicht nachhaltig sein darf, um seine Existenzberechtigung zu behaupten, birgt durchaus auch Verwirrungspotenziale.

Dabei hatte es doch so gut, so einfach und klar angefangen. In der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts hieß es schlicht: Ein Wald sei so zu nutzen, dass ein gleichbleibender Holzbestand (…) gewährleistet sei. Daraus wurde 1987 im Brundtland-Report: »Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.« Das wirft auch die schöne Frage auf, wie lange nachhaltig eigentlich dauert. Allein die Berichte, denen zufolge sich genau jetzt im versiegelten Atomreaktor in Tschernobyl, 35 Jahre nach dem GAU, erneut nukleare Kettenreaktionen ereignen könnten, sind schon ein mehr als unbehaglicher Hinweis auf eine zeitliche Perspektive, die jedes Vorstellungsvermögen sprengt.

Auch wenn man noch so sehr geneigt ist, jenen Mitmenschen gegenüber Milde walten zu lassen, die an so etwas wie ausgelatschte Turnschuhe denken, wenn sie das Wort Nachhaltigkeit nur hören: Das realitätsflüchtige Gerede von einer Nachhaltigkeitsdiktatur, das schon der Zukunftsforscher Stephan Rammler kritisierte, ist angesichts solcher Dimensionen arg leichtgewichtig, um nicht zu sagen leichtfertig. Immer wieder aufs Neue dagegenzuhalten tut also not. Dabei fällt auf, dass sich zunehmend auch Designer·innen sehr klar positionieren, betrachtet man nur die Charta für nachhaltiges Design und andere Nachhaltigkeitsmanifeste, die in den letzten Jahren aus der Branche heraus entstanden sind. Ob man dabei auch von dem großen Designtheoretiker Victor Papanek gelernt hat, kann nur vermutet werden. Papanek jedenfalls, der seinerzeit mit Blick aufs Industriedesign meinte, es gäbe nur wenige Berufszweige, die mehr Schaden anrichten würden, steht bei der Generation junger Designer·innen wieder hoch im Kurs. [um]

 

»Wir brauchen mehr Manifeste!«, mahnte der Rektor der Fachhochschule für Gestaltung Salzburg, Gerhard Blechinger, schon vor etlichen Jahren an und die Geschichte scheint ihn erhört zu haben. So gibt es gerade im Designbereich inzwischen Manifeste in Hülle und Fülle. Die Seite https://designmanifestos.org ist ein umfassendes Kompendium dieser Elaborate, die Mut machen, einen auf die Palme oder zum Strahlen bringen und die immer wieder gut für eine Inspiration sind.


 
 

Mundari, Südsudan


Verantwortung über- oder unternehmen?
 

Nette Oberflächenpolitur braucht heute kein Mensch mehr – unternehmerisch verantwortliches Handeln verbindet ökologische, soziale und ökonomische Aspekte und gestaltet so – ganz nebenbei! – Gesellschaft, nachhaltig! Der allzu durchsichtige Versuch hingegen, mit Green is beautiful, mit fragwürdigen Biolabels und Co. Kundenbindung zu stärken, mag vordergründig wirtschaftlich erfolgreich sein – endet aber nicht nur gefühlt sehr gerne im Rebound-Effekt genannten Phänomen: vom vermeintlich umweltfreundlich (gelabelten?) Produkt wird deutlich mehr verbraucht …

Schuld sind sowieso immer die anderen – vermutlich wird nirgendwo leidenschaftlicher das Verantwortlichkeitspingpong gespielt als beim Thema Nachhaltigkeit. Vom Verbraucher zum Unternehmer zum Subunternehmer bis ins letzte Glied der Lieferkette und wieder zurück. Doch Verantwortung setzt Entscheidungsfreiheit voraus und die hat nur, wer überhaupt wählen kann – während Wahlmöglichkeiten eben oft erst durch verantwortlich-unternehmerisches Handeln entstehen. Tatsächlich verlangt eine echte Kundenentscheidung die Transparenz des Produzenten, der sich seinerseits auf dem Weg vom Rohstoff zum fertigen Artikel durch einen Dschungel von Möglichkeiten schlagen muss. Eine überaus lohnende Beschäftigung für Gestalter·innen aller Art – bei der schriftlich und visuell dokumentierte, grundlegende Positionen und daraus abgeleitete Handlungsmaximen mehr als hilfreich sind! Also: Noch ein Thema für Gestalter·innen aller Art! [sib]


 
 

Intha, Myanmar


Das Fundstück der Woche

 
 

Bis zu einem Meter tief wurzeln diese Vorboten der jahreszeitlichen Veränderung – wenn der Klatschmohn kommt, ist der Sommer nicht mehr fern. Die endständig auf einem eher dünnen Stängel sitzenden, zwittrigen Blüten sind radiärsymmetrisch und vierzählig mit doppelter Blütenhülle angeordnet. Die vier sehr dünnen, etwas knautschigen, scharlach- bis purpurroten, selten weißen oder violetten Kronblätter basieren auf einem großen schwarzen, oft weiß umrandeten Fleck. Angeblich stammt die Bezeichnung Klatschmohn vom Aneinanderklatschen der Blütenblätter – eine selbstbewusste Liebeserklärung der Einzelgängerpflanze an das Gemeinsame ...


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, 

zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
©Fotografien von Markus Mauthe

Fundstück der Woche Film und Foto: ©Boris Kochan


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