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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 25. Juni 2021

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

vier sehr lange Minuten steht das Künstlerpaar einander gegenüber, zwischen ihnen der von beiden gehaltene, gespannte Bogen, der Pfeil ist auf ihr Herz gerichtet. Im Raum das über Lautsprecher verstärkte, anschwellende Pochen beider Herzen: Natürlich geht es in der Performance Rest Energy um Liebe, um Vertrauen. Aber auch um Beziehung – um das Gemeinsame und das jeweils Eigene.

Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Identität ist ein Akt sozialer Konstruktion, zwischen gesellschaftlicher Einpassung und individuellem Eigensinn entsteht dieses innere Sich-Selbst-Gleichsein, das Gefühl für eine sehr eigene, positiv aufgeladene Unverwechselbarkeit. So richtig spannend wird das, wenn das Umfeld nach TURN, nach Zeitenwende riecht und zum Beispiel plötzlich (fast) ganz Europa den Regenbogen toll findet.

Ein guter Moment zum Innehalten – und jemandem wie Frank Uwe Laysiepen noch einmal nachzugehen, der als Ulay alleine und mit seiner langjährigen Lebens- und Arbeitspartnerin Marina Abramović in radikalen Untersuchungen seiner Selbst die eigenen physischen und psychischen Grenzen ausgelotet hat. Übertragen ins heute: Werde ich jemals wieder der sein, der ich vor der Pandemie war?

Herzliche Grüße zum Wochenende!
Boris Kochan

 

Am vergangenen Freitag haben Angehörige und Freunde auf dem alten Fürstenfeldbrucker Stadtfriedhof Abschied von Nina Shell genommen – für 8daw hatte es dankenswerterweise Sabine Unger übernommen, für unsere Ausgabe #37 einen Nachruf zu formulieren. Nun wurde ich gebeten, ob ich nicht für ihre frühere Wirkungsstätte bayern design doch auch etwas schreiben könnte – was ich mit großem Respekt vor der Persönlichkeit der viel zu früh Verstorbenen gerne übernommen habe.


 

© Ulay/Abramović, Courtesy ULAY Foundation and Marina Abramović Archives

 

© Ulay/Abramović, Courtesy ULAY Foundation and Marina Abramović Archives

 

© Ulay/Abramović, Courtesy ULAY Foundation and Marina Abramović Archives

 
Der Künstler ist anwesend
 

Grenzüberschreitungen. Bei einer Performance in Amsterdam begegnen sich Marina Abramović und Ulay, ab 1976 leben und arbeiten sie zusammen. In ihren Performances sind sie selbst das Thema, erforschen physische und psychische Grenzen, hinterfragen Polaritäten, Geschlechterrollen. Das bedingungslose Streben nach dem gleichberechtigten Zusammenwirken von männlicher und weiblicher Energie ist in vielen ihrer Performances spürbar. So fokussiert AAA-AAA das Kräftemessen der Geschlechter. In Breathing In/Breathing Out versuchen Abramović und Ulay sich mit dem jeweils anderen bis an die Grenze der gegenseitigen Vernichtung zu verbinden. Sie pressen die Münder aufeinander, tauschen den Atem, Sauerstoff aus – bis sie kollabieren. Bei Relation in Time, sitzen Abramović und Ulay 17 Stunden lang schweigend Rücken an Rücken – aneinander gebunden durch ihre Haare. Sie sind alleine im Raum. Nur während der letzten Stunde sind Besucher zugelassen.

1988 trennt sich das Paar mit einer spektakulären und dabei stillen Performance Great Wall Walk entlang der Chinesischen Mauer. Vom Südwesten der Wüste Gobi aus geht Ulay los, während Abramović am entgegengesetzten Ende vom Meer her aufbricht. Nach jeweils gut 2000 Kilometern Wegstrecke treffen sich die beiden auf einem Bergpass bei Shenmu, um ihre Beziehung zu beenden: aufeinander zugehen. 2010 findet im Museum of Modern Art unter dem Titel The Artist is Present eine Abramović-Retrospektive statt. In dieser teilt die Künstlerin eine Minute der Stille mit jedem Besucher, der sich ihr gegenübersetzt. Drei Monate lang sitzt Marina Abramović Tag für Tag auf einem Stuhl, sie blickt 1.565 Besuchern in die Augen. Eines Tages nimmt Ulay ihr gegenüber Platz, die beiden schauen sich an – Augenblicke berühren. Marina Abramović reicht ihrem einstigen Partner die Hand, die Grenzen zwischen Kunst und Leben lösen sich auf. [gw]


 

© Ulay, Courtesy ULAY Foundation

 

© Ulay, Courtesy ULAY Foundation

 
Wer sind wir und mit wem?
 

Panta rhei – oder wie Heraklit das ewige Werden und Wandeln ausführt: »Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht.« So war Ulay – mal Fließender, mal Springender, wie er von sich selbst sagte – prädestiniert, das Thema Identität immer und immer wieder neu zu prüfen zwischen Individualität, Subjektivität und Relationalität: stets mit dem Ziel, das Gegenüber dazu zu verführen, »über die Flui­di­tät unse­res eige­nen multi­plen Selbst nach­zu­den­ken: Wer sind wir und mit wem.« Auch wenn die Fotografie lange Zeit sein Medium war, konzipierte er sie nicht statisch, sondern oft seriell, mit spürbar prozessualem Charakter.

Ulays umfangreiche Polaroidserie S’he wirkt aus heutiger Sicht nahe am  Gender-Mainstream: sozialer und kultureller Wandels sind mitten in der Gesellschaft angekommen und ein sich abzeichnender Wahlkampf auch um das Gendersternchen spricht Bände davon.

Er jedoch stellt mit entwaffnender Hilflosigkeit im Blick alle Identitätsentwürfe infrage. Wenn Identität, wie Heiner Keupp sagt, »ein selbstreflexives Scharnier zwischen der inneren und der äußeren Welt« bildet, das den Kompromiss zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Einpassung moderiert, so thematisieren diese Bilder die ganze Tragik der identitären Verortung in der Postmoderne. Die Identität gibt es nicht. Aber Identitätsfindung als Performance des ständigen Abgleichs des Inneren mit einem zwischen Individualisierung und Globalisierung changierenden Äußeren. Lautet die Frage noch »Wer bin ich?« oder heißt sie vielmehr »Wohin gehen wir?« [sib]


Das Fundstück der Woche

 
 

Eine Minute und 54 Sekunden Betroffenheit! Die Choreografin Crystal Pite und der Schauspieler und Dramatiker Jonathon Young verarbeiten Trauma und Trauer – auf Basis ganz persönlicher Erfahrungen. Vernunft und Intellekt verschwinden hinter Emotion und Schicksal, das Theater wird zum energetischen Erkenntnisort: Ein Zurück gibt es nicht, das Morgen wird heute und hier und jetzt gestaltet. So entsteht Zukunft.


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.


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