facebook
twitter
linkedin
instagram

web view
 
Headerbild
8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 3. Dezember 2021

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

gerade geht die Verleihung des Deutschen Nachhaltigkeitspreises im Hotel Maritim in Düsseldorf zu Ende – dessen ersten Abend unter dem Schwerpunktthema Design ich 2G+ getestet und maskiert vor Ort miterleben durfte. Neben der Verleihung von Ehrenpreisen an den Klimafolgenforscher Hans Joachim Schellnhuber gestern und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute, waren es einmal mehr die kleinen Bemerkungen, das Beiläufige, was besonders nachdrücklich auf mich gewirkt hat.

Die Idee, dass die von beiden Preisträgern propagierte Initiative New European Bauhaus zu einer Massenbewegung zur Schönheit werden könnte und Ästhetik entscheidend wird für eine neue Erzählung der Moderne, hat mich als politischer Repräsentant der Disziplin Design genauso gefreut wie irritiert. Der Rückblick auf Bürger, die mit je einem Stein partizipativ ganze Kathedralen bauten und so (architektonische) Schönheit als Gemeinschaftsprojekt entstehen haben lassen, erschien mir – gnädig gestimmt im sehr bunten Licht der Gala – als eine Frühform des Social Designs. Zu später Stunde hat dann der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen die große Aufgabe Nachhaltigkeit in ein neues Wort gepackt: Es geht um die Übernächstenliebe, und damit nicht nur um die Generationenfrage, sondern auch das tiefe Wissen um die Folgen des eigenen Tuns … zum Beispiel für die Menschen in Afrika. 

Was sich aber ganz besonders in meinem Kopf eingegraben hat, ist eine wirklich simple Frage, die gestellt wurde ob der mittlerweile überall von Konzernen vorgetragenen Erfolge zu ihrer nachhaltigen Ausrichtung: »Wenn alle Unternehmen die Welt retten, wer macht sie eigentlich kaputt?«

Ich wünsche Ihnen ein ganz besonders nachhaltiges Wochenende!
Boris Kochan

 
Dekonstruktion und Verformung als Prinzip – wie verstehe ich die Welt neu? Gern ist vom Blick über den Tellerrand die Rede, von der Chance, die entsteht, wenn wir uns darauf einlassen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Katerina Kamprani hat einen sehr eigenen Zugang zur entscheidenden Grundlage für den aktiv betriebenen Wandel gefunden: Mit The Uncomfortable Project macht sie es uns ungemütlich im Bestehenden zu verwahren. Herzlichen Dank, dass wir ihre Objekte für diese unbequeme 8daw-Ausgabe nutzen dürfen!

 
 

The Uncomfortable Watering Can, 2013, 3D Visual


»Die wahren Optimisten sind nicht überzeugt, dass alles gut gehen wird ...«
 

https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/bild-1.jpgDurchaus rätselhaft könnte es auf den ersten Blick erscheinen, was denn Rückführungspatenschaften mit Corona-Diktatur zu tun haben. Dabei ist es eigentlich so naheliegend: Beide Wörter können den zweifelhaften Ruhm für sich beanspruchen, wahlweise euphemistisch verschleiernd, stigmatisierend oder diskriminierend zu sein und/oder gegen die Prinzipien von Menschenwürde und Demokratie zu verstoßen, womit sie sich dafür qualifiziert haben, zu den Unwörtern des Jahres 2020 gewählt zu werden. 2019 wurde neben der Ethikmauer und der dem unsäglichen AfD-Sprech entsprungenen Umvolkung übrigens auch die Klimahysterie gekürt, was insofern interessant ist, als es damit nach zwölf Jahren wieder einmal ein Wort ökologischer Provenienz aufs Siegertreppchen geschafft hatte.

Angebliche Versuche, auch die Nachhaltigkeit in den Olymp des Unsagbaren zu hieven  sind hingegen in den vergangenen Jahren gescheitert. Der häufig monierte Mangel an zupackender Griffigkeit dieses Wortes könnte auch daran liegen, dass zwar viel über Nachhaltigkeit geredet, aber ungeachtet der Weckrufe aller seriösen Klimaforscher·innen der Welt zu wenig getan wird – oder um es mit dem großen Dietrich Bonhoeffer zu sagen: »Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.«

Umso bemerkenswerter also, wenn ausgerechnet in einer Paradedisziplin des Raubtierkapitalismus der Groschen sehr vernehmlich gefallen ist und man sich nicht nur eines Besseren besonnen, sondern TATsächlich damit begonnen hat, dem Umdenken auch ein neues Handeln beizugesellen. Die Rede ist – natürlich – vom Design. Bedenkenträger in Sachen ungezügelter Hedonismus, süchtig machender Luxuriosität und unersättlicher Ressourcenverschwendung gab es schon lange. Nicht nur den Vater des Social Designs, Victor Papanek, oder in jüngerer Zeit den nicht unumstrittenen Friedrich von Borries – und die Stimmen mehren sich und werden lauter. Dabei wird deutlich, wie wirkmächtig Nachhaltigkeit und Designkompetenz zusammenspielen können. Und das nicht nur, wenn es um die Gestaltung von Konsumgütern geht, sondern ebenso um die Gestaltung von Systemen, von Workflows, Kommunikation und Technologie, von Inklusion und Teilhabe – und damit von unserem Zusammenleben. Eine Wirkmächtigkeit, die sich zunehmend Gehör und Geltung verschafft. Nicht zuletzt auch deswegen, weil allzu viele öffentliche, politische Diskussionen über den Nachhaltigkeitsdreiklang aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem vor lauter heißer Luft nach wie vor so gar nicht klimaneutral sind. [um]

 

Vor der Klimahysterie hatte es 2007 das Wort klimaneutral zum Unwort des Jahres geschafft. Die Jurybegründung lautete seinerzeit: »Kritisiert wird der Versuch, mit diesem Begriff für eine Ausweitung des Flugverkehrs oder eine Steigerung anderer CO2-haltiger Techniken zu werben, ohne dass dabei deutlich wird, wie diese Klimabelastungen neutralisiert werden sollen.« Ganz prima waren auch: Luftverschmutzungsrechte (2004) und Belegschaftsaltlasten (1998) – und dass das Wort Gesundheitsreform schon 1996 zum Unwort des Jahres gewählt wurde, sollte eigentlich zu denken geben. Wir sind gespannt auf das Unwort 2021.


 
https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/bild-1.jpg

OWL Glasses, 2018, 3D Visual

https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/bild-2.jpg

The Uncomfortable Wine Glas, 2013, 3D Visual


Zusammenleben ist ein Prozess
 

https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/illu-3.jpg»Realo-Fraktion der Utopisten« hat Benjamin Foerster-Baldenius das von ihm mitbegründete Kollektiv raumlabor einmal genannt. Es ist nicht die Entwicklung spektakulärer Gebäude, die das Kollektiv aus Künstlern und Architekten reizt. raumlabor denkt klein, lokal, nachhaltig, temporär, billig und schnell. Denn es braucht gar nicht viel, um dem Lebensglück einen wetterschützenden Rahmen zu verschaffen: Werkzeug, einen Haufen Schrott, ein wenig Geschick gepaart mit Gestaltungslust. Und die Vision einer neuen Gemeinschaftlichkeit.

Im alten Freihafen von Göteborg ist so die Hafensauna entstanden, ein mehrgliedriger, öffentlicher Raum, der an die Verladung rostiger Schiffscontainer erinnert. Über verschmutztem, öligem Hafenwasser ist ein realer Vorstellungsraum für die stärkende Kraft des Badens entstanden – die Vorhersage einer lebensbejahenden Zukunft. Hier gibt es kein Spektakel, keinen Konsum, keine Konkurrenz, nur das Wahrnehmen des Wassers, des Lichts, das Teilen von Gedanken und Räumen. Außen Wellblech auf staksigen Beinen, innen Schindeln aus Fichtenholz. Die wie aus hellem Holz gewirkte Sauna führt den Blick durch die Fenster hinaus in die weite Hafenlandschaft. Ein Rundbau aus Altglasflaschen lässt das Licht ins Innere sickern. Die Einwohner Göteborgs haben die Saunalandschaft mitgeplant und -gebaut. Wenn schon die Herstellung des Raums ein kollektiver Akt ist, realisiert sich die Utopie von neuer Gemeinschaft fast beiläufig. Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und ethnischen Zusammenhängen schaffen ihren eigenen Ort in der Stadt und erweitern so ihren Lebensradius: Zusammenleben ist ein Prozess. Die Hafensauna Göteborg wurde 2015 mit dem Schwedischen Architekturpreis ausgezeichnet. [gw]

 

Günstigen Wohnraum schaffen und gleichzeitig Müll entsorgen? David Monday aus Kampala, Uganda verfolgt eine besondere Recycling-Maßnahme: Er baut Häuser aus alten Plastikflaschen.


 
https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/bild-3.jpg
 

The Uncomfortable Broom, 2017, Handmade object


Ausgezeichnet!
 

https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/illu-1.jpgDas Leben kann ja nicht nur aus Spaß an der Freude bestehen, manchmal muss es auch Spaß an der Boshaftigkeit sein. Allein die Namensliste der Prädikate, mit denen unanständiges Geschäftsgebaren abgestraft wird, schafft satanische Befriedigung: Big Brother Award, Fossil des Tages, Foot in the Mouth Award, Betonkopf, Fass ohne Boden, Fauler Apfel, Goldener Vollpfosten, Goldener Windbeutel, Rosa Handtaschl, Schleuderachse, Verschlossene Auster, Pannenflicker, Sprachpanscher sprechen von lustvoller Kreativität derjeniger, die etwas zu meckern haben.

Leider steckt allzu oft eine bittere Wahrheit hinter den negativen Auszeichnungen. So ging der Goldene Zaunpfahl dieses Jahr an einen Drogeriemarkt, der sich durch exzessives Gendermarketing hervorgetan hat – etwa rosa Glitzerduschgel für Prinzessinnen, hellblaues Glibberduschgel für Piraten und so fort. Während das Unternehmen sich damit herausredet, nur Verbraucherwünsche zu erfüllen, beharrt die Jury darauf, dass ein solches Sortiment Rollenklischees zementiere. Aber schließlich muss man ja auch irgendwo für die Gender-Reveal-Partys einkaufen, bei denen werdenden Eltern das Geschlecht ihres Ungeborenen bei einem – natürlich kommerziellen – Event eröffnet wird. Gibt es dafür eigentlich auch einen Absurditätenpreis?

Als Sprachpanscher 2021 wurde Ursula von der Leyen ausgezeichnet für die »mangelnde Nutzung der Muttersprache«, wobei man ernsthaft fragen möchte, ob eine Präsidentin der Europäischen Kommission ihre Fremdsprachenkenntnisse ablegen sollte? Nähme sie sich doch ein Beispiel an ihrem Kollegen Günther Oettinger: »I was frank and open. It wasn’t a speech read out. But frei von der Leber – as we say in German.« Die Feinheiten der Sprache wurden auch einem Unternehmen zum Verhängnis, das den Goldenen Windbeutel 2020 einheimste für die Werbelüge des Jahres. Die Behauptung: Ihr Käse bestehe aus Milch von Freilaufkühen. Wenn der Verbraucher denkt, die Milchviecher hätten jemals grünes Gras oder blauen Himmel gesehen, ist das allerdings Käse: Steht schließlich im Kleingedruckten*, dass die Kühe nur im Stall herumlaufen. (Also frei, ohne Fußfesseln!) Bei Foodwatch, die diesen Preis ausloben, steht 2021 unter anderem ein klimaneutral zertifiziertes Mineralwasser zur Wahl, das in Plastikflaschen aus Frankreich nach Deutschland transportiert wird, ein Kaffee in Plastikkapseln, die kompostierbar sind, sofern man als Verbraucher den richtigen Müllentsorger dafür ausfindig macht, und viele Absurditäten mehr … Einfach mal reinschauen und voten. [sib]

 

* Apropos kleingedruckt: Den Negativpreis Klein, aber gemein kassierte Airbnb. Nach 4 Stunden und 17 Minuten Lesezeit gab der Konsumentenschutzbeauftragte entnervt auf, nachdem er mit den AGBs des Unternehmens noch immer nicht durch war – geschweige sie verstanden hatte.

 

Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Oscar hat er schon, der Plagiarius: der schwarze Gartenzwerg mit der goldenen Nase, die sich all diejenigen verdienen, die Produkte abkupfern, statt sie zu entwickeln. Auf rund 60 Milliarden Euro wird der jährliche Schaden durch Produktpiraterie geschätzt. Der offizielle Einsendeschluss, zu dem Unternehmer, Designer und Erfinder die ihrer Meinung nach unverschämtesten Räubereien zum Plagiarius-Wettbewerb einreichen können, ist zwar am 30. November verstrichen, Late Comers Tarif ist aber bis 10. Dezember 2021.


 
https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/bild-4.jpg

Thick Cutlery Set, 2017, Casted bronze, nickel plated

https://assets.eightdaw.com/bilder/kw48/bild-6.jpg

Chain Fork, 2015, Handmade object


Das Fundstück der Woche

 
 

Finde den Unterschied! Seit der Aufhebung der Amtszeitbegrenzung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor drei Jahren hat sich die Qual der Wahl deutlich reduziert. Kreative Protestaktionen, wie das Transparent der Jurastudenten der renommierten Tsinghua-Universität in Peking »Ich liebe dich ohne Amtszeitbeschränkung, aber wenn es eine geben sollte, könnten wir sie einfach wieder abschaffen« sind mittlerweile komplett verstummt.


 
 

Sie erhalten diese E-Mail an unknown@noemail.com, weil Sie sich als 8daw-Empfänger angemeldet haben, in geschäft­lichem Kontakt mit der Kochan & Partner GmbH stehen oder an einer der Veranstal­tungen der Kooperations­partner teil­genommen haben. Fügen Sie bitte die E-Mail-Adresse boris.kochan@eightdaw.com Ihrem Adress­buch oder der Liste sicherer Absender hinzu. Dadurch stellen Sie sicher, dass unsere Mails Sie auch in Zukunft erreichen. Wenn Sie 8daw künftig nicht mehr erhalten wollen, können Sie unseren Newsletter abbestellen.

 
ANMELDEN
 

Wurde Ihnen dieser Newsletter weiter­geleitet? Jetzt anmelden!


IHRE MEINUNG
 

Wie fanden Sie 8daw heute? Geben Sie uns Ihre Rückmeldung.

 
WEITEREMPFEHLEN
 

Empfehlen Sie 8daw von Boris Kochan und Freunden weiter!


FOLGEN
 
facebook

Facebook

twitter

Twitter

linkedin

Linkedin

instagram

Instagram


TEILEN
 
facebook

Facebook

twitter

Twitter

linkedin

Linkedin

whatsapp

WhatsApp

xing

XING

e-mail

E-Mail

 
 

In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel]Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:

The Uncomfortable
© Katerina Kamprani

FUNDSTÜCK
©chineseuncensored


Datenschutz | Kontakt | Impressum
© 2021 Boris Kochan