facebook
twitter
linkedin
instagram

web view
 
Headerbild
8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 19. März 2021

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

»Du Papa«, murmelt etwas verlegen-amüsiert mein damals vielleicht dreijähriger Sohn, als er mit müden Augen und seinem Äffchen Coco im Schlepptau ziemlich überraschend aus dem dunklen Schlafzimmer getrippelt kommt: »Mama ist ganz schnell eingeschlafen.« Dieser so ähnlich oder in analoger Papa-eingeschlafen-Variante von ganz vielen Eltern gern auch immer wieder erlebte Moment erzählt so unendlich viel über Erschöpfung und Schlafbedürfnis, über Eigenwille und Widerstand. An die Grenzen und darüber hinaus gehen, sich dabei erspüren ... selbst werden. Und von diesem Augenblick, in dem es einfach nicht mehr geht, in dem Vater, Mutter oder auch Kind dann eben einfach einschlafen, in Klamotten, am unmöglichen Ort und oft auch in erstaunlich verdrehter Haltung.
          Er-Schöpfung erzählt vom Kraftakt des Schaffens und Erfindens genauso wie von der tiefen Müdigkeit danach. Die Erschöpfung, die sich jedoch aktuell gerade breitmacht, sich bleischwer über Gespräche und Sitzungen legt, ist aus anderem Stoff: Sie ist geprägt von bitterer Enttäuschung, von einer (noch) überwiegend stillen Wut auf Regierung und Volksvertreter. Nur zu gut erinnere ich mich an das von ganz vielen mitgetragene Gemeinsamkeitsgefühl, diese verhaltene Fröhlichkeit, die vor einem Jahr aufkam. Und die Hoffnung, dass wir, wenn wir nur zusammenstehen und verantwortungsvoll handeln, nicht nur die Pandemie halbwegs gut überstehen, sondern sogar weit darüber hinaus Zukunft gewinnen können.
          Solidarität bedingt eine Beziehung auf Augenhöhe, Solidarität geht nicht für jemanden, sondern nur mit jemandem, also gemeinsam. Mein Sohn ist mittlerweile 21 und Teil des 8daw-Teams – wie nur soll er seinen bestimmt irgendwann auch schlaflosen Kindern erklären, wie wir gerade Zukunft verspielen?

Herzliche, solidarische Grüße zum Wochenende!
Boris Kochan

 

Morgens ist alles anders als abends: So gut wie nie finden sich Schlafpaare beim Aufwachen in einer auch nur annähernd ähnlichen Stellung wieder wie beim Einschlafen … Was passiert da nachts eigentlich zwischen sich liebenden Menschen? Paul Maria Schneggenburger hat sich fotografisch eingemischt in den Schlaf, Vertrauen gewonnen und die Spuren dokumentiert, die zwei oder drei gemeinsam Schlafende in einem schwarzen Bett in seinem Atelier hinterlassen: »Schlafen sie nebeneinander, jede und jeder für sich, oder teilen sie doch gewisse Empfindungen, Orte oder Emotionen? Ist es ein nächtlicher Tanz von Liebenden, eine unbewusst ausgeführte Art von Zuneigung, oder kehren sie sich den Rücken zu? Gibt es eine Vereinigung mit dem Anderen, eine mit dem Selbst?« The Sleep of the Beloved ist eine laufende Serie – Interessierte können nach Vereinbarung teilnehmen und die Bilder anschließend erwerben. Fotografiert wird mit einer mobilen Schlafinstallation direkt bei den Schlafenden zu Hause bzw. für Wienreisende im Schlafatelier. Herzlichen Dank, dass wir diese acht von insgesamt mittlerweile mehr als 120 Bildern in unserer 8daw-Ausgabe zu Erschöpfung, Schlaf und Schöpfung zeigen können!


 
picture
picture

Die schlafende Revolution
 

Minus fünf Grad klingt ganz schön kalt, fünf Husky hingegen ziemlich kuschelig. Eskimos geben angeblich die Nachttemperatur in Anzahl Hunden an, die man braucht, um sich zu wärmen. Ob die Umrechnung so stimmt? Egal, auf jeden Fall sagt es viel über die Schlafkultur der Inuit aus: Dass sie nämlich mit ihren Haustieren ruhen, so wie schlafen auch bei uns lange eine Gemeinschaftsangelegenheit war. Die ganze Familie lag in einem Bett und für Besucher rückte man näher zusammen. Aus einem deutschen Kurort des 17. Jahrhunderts wird berichtet, dass die Gäste mangels ausreichender Betten im Schichtdienst schliefen: die einen bis Mitternacht, dann die anderen. Das würde als Wellness-Urlaub heutiger Prägung nur bei Anhängern des polyphasischen Schlafes durchgehen, die ihren täglichen Gesamtschlafbedarf, der nach kurzer Übung nur noch zwei Stunden beträgt, auf sechs Portionen aufteilen.

Dagegen scheint der mehr oder minder ausgedehnte Tagesschlaf des biphasischen Schlafrhythmikers in unserer Gesellschaft verpönt zu sein. Wie sonst könnte ihn Thierry Paquot in seinem munteren Büchlein Die Kunst des Mittagsschlafs als eine Art der Selbstversicherung, ja gar als wollüstigen »Akt des Widerstands« bezeichnen? Widersetzt sich dieser Moment der Ruhe, dieses heitere Dämmern doch den Rhythmen der Arbeitswelt und der allgemeinen Produktivitätsmoral: »Mittagsschläfer aller Länder behauptet eure Einzigartigkeit und widersteht der globalen, der totalitären Zeit.« Oder lohnt es sich eher, den Zustand der Müdigkeit aufrechtzuerhalten mit ihren »kontemplativen Empfindungen eines Da-Seins und In-der Welt-Seins«, die Peter Handke als gemeinschaft- und friedensstiftend preist? Dann wäre wohl doch eher der kollektive Schlafentzug probates Mittel zu einer lebenswerten Zukunft. [sib]

 

Nicht hinreichend müde? Dann hilft vielleicht dieses Hörbuch, für das der Verlag mit der Aussage wirbt: »Hier können Sie sicher sein: Es wird […] nichts geben, was Sie interessiert.« Na dann gute Nacht! soll das langweiligste Hörbuch der Welt sein. Ansonsten vielleicht in dieses nordische Schlaflied  reinhören und herrlich müde werden …

 

Unendlich müde macht manchen auch die Gegenwart – vielleicht eine als Frühjahrsmüdigkeit getarnte Depression? Gründe dafür gäbe es ja genug. Je nach individuellem Krankheitsbild hat sich hier die Therapie des Schlafentzugs bewährt, während umgekehrt zu lange Bettzeiten die Symptome verschlechtern. Also dann doch: Raus aus den Federn!


 
picture
picture

Schöpfungspause, oder: Wenn der Sommer nicht mehr weit ist ...
 

Karotte vor der Nase, Bremsklötze vor den Füßen. Das Licht am Ende des Tunnels schwankend, mal heller, mal verlöschend. Flackernde Dauerdämmerung. Unüberschaubares Tunnelgeflecht. An jeder Weggabelung, vor jedem Ziel ein Fragezeichen. Einschätzungen und Fehleinschätzungen. Irrlichter, Workarounds. Erschöpfte Durchhalteparolen. Die Seele setzt Moos an. Ist heute Freitag? Wann endlich durchschlägt krachend ein schrilles Rot die trübe Dämmerung? Ein gellender Schrei? Gibt es noch Quellgebiete?

Zu Füßen uralter Eiben gurgelt, fließt, strömt lebendiges Wasser. Tuffkalkstein. Über schimmernden Sinterterrassen tanzen Libellen. Knabenkraut und Stendelwurz, eine Schneckenspur führt zu Schachtelhalm und wilden Orchideen. Pausenbrot  auspacken. Ruhe zwischen bizarr gedrehten, verwachsenen Stämmen. Den Blick hinauf ins immerwährende Grün. Ein Specht klopft. Imagination ist alles. [gw]

 

»Wenn der Sommer nicht mehr weit ist / Und der Himmel violett / Weiß ich, dass das meine Zeit ist / Weil die Welt dann wieder breit ist / Satt und ungeheuer fett« singt Konstantin Wecker und macht Lust auf Aufbruch … und Genuss!

 

Im Pfaffenwinkel, zwischen dem hohen Moränenzug von Wessobrunn und dem Schotterdelta von Raisting liegt der Paterzeller Eibenwald südwestlich von München. Mit über 2000 teilweise jahrhundertealten Eiben ist er einer der größten zusammenhängenden Eibenwälder in Deutschland – anderthalb Jahre lang hat ein Kamerateam des Bayerischen Fernsehens diesen Zauberwald beobachtet: ein fantasiebeflügelnder Fluchtpunkt. Man kann aber auch einfach die Augen schließen. Träumen weckt auf.


 
picture
picture

Materialerschöpfung
 

»irgendwas passiert im gesicht von männern ab etwa 27, eine art materialerschöpfung gepaart mit dem sicheren gefühl, trotzdem zu den gewinnern zu gehören.« Eine ziemlich ausgekochte Formulierung, die sich die Romanautorin, Twitter- und Instagram-Poetin Ilona Hartmann da ausgedacht hat. Mit solchen Aphorismen genauso wie auch mit ihrem Debütroman wird neuerdings die Frage verbunden, ob hier nicht »eine gewisse Ermüdung am Jungsein« anklinge. Eine interessante Idee. Ermüdungserscheinungen beim Älterwerden kennt man ja, aber vom Jungsein? Womöglich verzehrt von der Sehnsucht nach einem Erwachsenen-Dasein, in dem die Materialerschöpfung erst so richtig am Gebälk zu nagen beginnt?

Diese sehr leichtfüßig-zeitgemäße Kombination von Mensch und Materialerschöpfung fügt sich – etwas weiter gedacht – zu einem Begriffsmonster von frankensteinscher Dimension: Grüßt da nicht vom Existenzhorizont das Gespenst des Niedergangs der ganzen Spezies herüber? Wie ist das, wenn sich diese Human Ressources irgendwann wegen kollektiver Materialerschöpfung gleich selbst aus(re)sourcen? Und es dann den Maschinen peinlich wäre, »vom Menschen geschaffen worden zu sein, so wie der Mensch sich schämte, als er herausfand, dass er vom Affen abstammt«, wie Peter Glaser fragt?
          Elon Musk, der Apokalyptiker der KI, meint, wir Menschen wären ziemlich doof, wenn wir keine Angst vor den Maschinen hätten. Aber wer auf Weltrettungsmission unterwegs ist, der lässt sich seinen Rang nicht so leicht von irgendeiner KI ablaufen, wie es ihm auch herzlich egal ist, wenn die Verwirklichung seiner Visionen die Wasserversorgung einer ganzen Region lahmlegt. Es geht ja schließlich ums große Ganze. Deswegen leistet sich Musk auch einen höchst material- und KI-intensiven Wettlauf ins All mit Jeff Bezos. Die beiden Finanzgiganten am Firmament, ganze Kerle, Männer, ja – in den besten Jahren jenseits der 27 und ganz große Gewinner. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – oder gar an den unermüdlich an der Weltherrschaft tüftelnden James-Bond-Schurken Blofeld und seine divenhafte weiße Katze. [um]

 

Wahnsinn, Erschöpfung und Todessehnsucht, das Dreigestirn romantischen Geniekults hat in so manchen Künstler-Roman Eingang gefunden. Selten so intensiv wie in Robert Schneiders Schlafes Bruder, in dem der Komponist Johannes Elias Alder aufhört zu schlafen, um auf diese etwas ausgefallene Weise Selbstmord zu begehen. So großartig das Buch ist, seine Verfilmung hat einen dramaturgischen Makel: Alders unerhörte Musik. Wie schön wäre es doch gewesen, sie – wie im Buch – der Fantasie des Publikums zu überlassen, anstatt sie durch eine noch so gut gemachte Filmkomposition ein für alle Mal festzuschreiben und so zu profanisieren ...


 
picture
picture

Das Fundstück der Woche

 
 

Wie sieht die Jüdische, das Jüdische aus? Im Kurzinterview haben uns die spanische Fotografin Sonia Alcaina Gallardo und die Moskauer Künstlerin Evgeniya Kartashova von ihrer Idee für ihre mit einem dritten Platz prämierte Einreichung Evgeniya And Other Kosher Berliners anlässlich des Fotowettbewerbs Zusammenhalt in Vielfalt – Jüdischer Alltag in Deutschland erzählt: »Bei der jüdischen Identität geht es nicht nur um Religion, sondern auch um die verschiedenen Arten, sich zu erinnern und sich in den Kontext des historischen und kollektiven Gedächtnisses zu stellen.« Gerade junge Juden sind oft nicht besonders religiös. Wir »identifizieren uns jedoch immer noch als Juden – was aber sind die Wege zu diesem Zugehörigkeitsgefühl?« Evgeniya Kartashova ist für das Bild in die Badewanne mit einigen Sufganiyot gestiegen, die den in Berlin Pfannkuchen und anderswo Donuts genannten Berlinern zum Verwechseln ähnlich sehen – kombiniert mit einer Menora auf der Fensterbank, dem symbolträchtigen siebenarmigen Leuchter. »Wir nutzten diese visuelle Ähnlichkeit zwischen einem Gebäck, das zu beiden Kulturen gehören könnte, um ein postjüdisches Bild zu schaffen.« Mehr dazu demnächst ...


 
 

Sie erhalten diese E-Mail an unknown@noemail.com, weil Sie sich als 8daw-Empfänger angemeldet haben, in geschäft­lichem Kontakt mit der Kochan & Partner GmbH stehen oder an einer der Veranstal­tungen der Kooperations­partner teil­genommen haben. Fügen Sie bitte die E-Mail-Adresse boris.kochan@eightdaw.com Ihrem Adress­buch oder der Liste sicherer Absender hinzu. Dadurch stellen Sie sicher, dass unsere Mails Sie auch in Zukunft erreichen. Wenn Sie 8daw künftig nicht mehr erhalten wollen, können Sie unseren Newsletter abbestellen.

 
ANMELDEN
 

Wurde Ihnen dieser Newsletter weiter­geleitet? Jetzt anmelden!


IHRE MEINUNG
 

Wie fanden Sie 8daw heute? Geben Sie uns Ihre Rückmeldung.

 
WEITEREMPFEHLEN
 

Empfehlen Sie 8daw von Boris Kochan und Freunden weiter!


FOLGEN
 
facebook

Facebook

twitter

Twitter

linkedin

Linkedin

instagram

Instagram


TEILEN
 
facebook

Facebook

twitter

Twitter

linkedin

Linkedin

whatsapp

WhatsApp

xing

XING

e-mail

E-Mail

 
 

In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, boriskochan.com, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis: 
THE SLEEP OF THE BELOVED 2010: 
©Paul Maria Schneggenburger, Courtesy Galerie Johannes Faber

Evgeniya And Other Kosher Berliners: ©Sonia Alcaina Gallardo und Evgeniya Kartashova


Datenschutz | Kontakt | Impressum
© 2021 Boris Kochan