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ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 4. Februar 2022

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

»Design has to work. Art does not.« Eingedenk der Worte des New Yorker Architekten und Minimalisten Donald Judd haben wir uns aufgemacht und nach diesen Stellen gesucht, in denen der Punkt und das Pixel etwas miteinander zu tun bekommen … oder auch nicht. Gerade bei den Pixelschubsern – gemäß Wiktionary sind das diejenigen, die Computergrafiken erstellen oder bearbeiten – sind doch die Übergänge zwischen Kunst und künstlich, zwischen spielerisch offener und konsequent beabsichtigter Wirkung fließend. Die Absolutheit der immer wieder gern betriebenen Abgrenzungen und Eindeutigkeiten machen mich zunehmend skeptisch in einer Disziplin, die sich der Holistik und der Interdisziplinarität verschrieben hat.

Entdeckt haben wir unterwegs den Pixar-Mitbegründer Alvy Ray Smith und sein ziemlich interessantes Buch: A Biography of the Pixel. Ihm geht es unter anderem darum, dass Pixel unsichtbar sind. Und ein wesentliches Ordnungsprinzip von Bildern – von der Höhlenmalerei bis zu Toy Story. Die Konvergenz aller Medien fand nach ihm ohne großes Aufsehen um die Jahrtausendwende statt – das Bit wurde zum universellen Medium und das Pixel eroberte die Welt: Handybilder, App-Oberflächen, Buchillustrationen, Videospiele.

Donald Judd hat hingegen jegliches Ordnungsprinzip abgelehnt – keines seiner Werke trägt einen Titel. Seine simplen und zugleich unglaublich poetischen Kästen, seine spezifischen Gegenstände sind keine Bilder, keine Skulpturen, sondern irgendetwas anderes, etwas sehr dazwischen. So schwer es ist, wahrscheinlich könnte uns genau dieses Denken helfen, mit unserem Alltag zwischen woke und Inzidenz, zwischen Ukraine und Klimawandel umzugehen.

Ich wünsche Ihnen herzlich ein gutes Wochenende, so zwischen der einen und der anderen Woche … mit allem was dazu gehört!
Boris Kochan

 

Er war ein Meister serieller Werke, sein Atelier hieß naheliegend auch The Factory. 1962 schuf Andy Warhol die erste Serie der Campbell's Suppendosen, in Reihe präsentiert wie im Supermarktregal. Dieser Tage kam noch eine Dose dazu: Schon Mitte der 1980er Jahre experimentierte Warhol mit einem geschenkten Amiga-Computer. Zwei Selbstportraits, eine Blume, eine Banane, eine Zeichnung der Campbell's Suppendose in mieser Auflösung konnten wieder lesbar gemacht werden, wurden auf 4.500 mal 6.000 Pixel digital aufgepeppt und kamen bei Christie’s als NTFs unter den Hammer. Die Suppendose zu knapp 1,2 Millionen Dollar. Deutlich günstiger lassen sich alle fünf Werke in dieser 8daw-Ausgabe betrachten …

 

Ein auf YouTube verfügbarer kleiner Liveact mit Amiga, Andy Warhol und Debbie Harry zeigt die Schaffung eines weiteren Originals in gleicher Machart als ganz besonderen, überraschend liebenswerten Moment. Kunstexperten verweisen entsprechend darauf, dass die bei Christie’s versteigerten Arbeiten keine Originale seien. Das dürfte Warhol recht sein. Gewandelt hat sich Campbell’s Suppendosendesign übrigens im vergangenen Sommer, erstmals seit 50 Jahren!


 

Leben als Rastergrafik
 

Curriculum vitae – wer in Bildern denkt, stellt sich das Leben demgemäß gerne als Sprint auf einer Geraden vor, bei dem man von einem Startpunkt auf einen Endpunkt zurennt, der vom angestrebten Zielpunkt ziemlich weit entfernt sein kann. Die meisten Menschen westlicher Prägung, um eine visuelle Darstellung der zeitlichen Aspekte ihres Lebens gebeten, stellen die Vergangenheit links, in der Mitte die Gegenwart und rechts die Zukunft dar, wobei Wissenschaftler vermuten, dies hänge mit unserer Leserichtung zusammen: Die Wörter, die links stehen, fallen uns früher ins Auge als die rechts positionierten. Auch Wahrsagerinnen lesen unsere Zukunft gern aus der Lebenslinie ab.

Doch ist unser Leben in Wirklichkeit nicht eher eine Fläche, ein Pixelbild, das sich gruppiert um … den springenden Punkt? Der punctum saliens, Synonym für den wesentlichen Kern der Dinge, hat seinen Namen von Aristoteles, der entdeckte, dass alles Leben von einem pulsierenden roten Fleck ausgeht – der Herzanlage des Embryos. Ein Ausgangspunkt, der mit vielen anderen neuralgischen Punkten zusammenhängt: dank Stimulation des G- oder C-Punkts hoffentlich mit einem Höhepunkt; mit dunklen Punkten, die man lieber übersieht, und wunden Punkten, die andere übergehen sollten; mit günstigen und weniger günstigen Zeitpunkten; mit toten Punkten, die es zu überwinden gilt … Wir sammeln Straf- oder Karmapunkte, kämpfen gegen pubertäre Pixel im Gesicht,  lassen den McBurney-Punkt über unsere Gesundheit entscheiden, bemühen bei Krankheit unsere Akupunkturpunkte, kommen an Wendepunkte, deren Richtung völlig offen ist.

Und das Beste ist: Über die optimale Auflösung müssen wir uns am Ende keine Gedanken machen. Die ist garantiert. [sib]


 

Der bewegte Punkt
 

Das ist doch der Punkt (Doppelpunkt): Hier stehe ich (mental oder physisch), von hier aus komme ich weiter – dort hinüber in die Farnschlucht, geradeaus geht’s zum Café. Mehr oder weniger rund ist er, der Punkt, meist ziemlich klein, dafür bedeutungsschwer als Satzzeichen, Bewertungs-, Rechen- oder Zähleinheit, als Schriftgrößenmaß oder Gliederungszeichen. Im sogenannten Hermann-Gitter erscheint ein Punkt an den Kreuzungsstellen – reine optische Täuschung. Aus dem spekulativen Spiel mit dem Sehvermögen, das zu irritierenden Flimmereffekten, Nachbildern und Farbvibrationen führt, entwickelt sich die Op-Art, deren bekanntester Vertreter Victor Vasarely die visuelle Verstörung zur Blüte bringt. Weniger bekannt sind Vasarelys Leistungen als Gestalter, etwa des Rautenlogos für Renault oder des Emblems für die Olympischen Sommerspiele in München.

Aus der Kunstwelt strömt der Op-Art-Reiz in den Alltag, in die Mode, auf Tapeten und Plattencover, trinkt Farbe, trudelt durchs Web. Akiyoshi Kitaoka, Psychologieprofessor aus Japan, schreibt auf seinen illusion pages: »Diese Seite enthält einige Werke der anomalen Bewegungsillusion, die dazu führen können, dass empfindlichen Beobachtern schwindelig oder übel wird. Sollte Ihnen schwindelig werden, verlassen Sie diese Seite am besten sofort.« Punkt. [gw]


 

Total verpixelt …
 

Beep, blip und boing macht es, wenn Super Mario durch seinen Hindernisparcours hopst und eifrig Punkte einsammelt. Begleitet vom nervigen Orgelgeklimpere des Nintendo Sounddesigners Koji Kondo. Nicht nur dieser Sound hat sich als frühes Signum einer popkulturellen Computerästhetik ins Gedächtnis förmlich eingraviert, sondern auch die kindliche Grafik mit all den pixeligen Treppchen, wo eigentlich Kurven oder schräge Linien sein sollten. Und das natürlich in 2D, also ungefähr auf dem Stand vor der Neuerfindung der Perspektive in der Renaissance-Malerei  vor rund 600 Jahren.

Knapp 37 Jahre ist es her, dass Super Mario in die Bildschirmwelt hineingeboren wurde. Im selben Jahr übrigens, als Michail Gorbatschow  Generalsekretär der KPdSU wurde. Auch das irgendwie verdammt lang her – zumindestest für’s rasende Hightech-Zeitalter. Inzwischen hat die Gamingindustrie längst die Umsätze von Hollywood und der Musikbranche zusammen geknackt. Hochauflösendes 3D-Bild mit super Blockbuster-Sound machen es möglich. Allerdings gibt es da eine gar nicht mal so kleine Fangemeinde, die noch immer dem Lowtech-Charme vergangener Tage huldigt: Pixelart und sogenannte Chiptunes (Musik mit Prozessoren von anno dunnemals). Manches ist einfach nur naiver Retrokram, anderes hingegen ziemlich ausgefuchst, wie die Arbeiten von Raquel Meyers: »Diese Technologien sind keine Souvenirs aus der Vergangenheit«, meint Meyers. »Sie sind hart erkämpftes Wissen. Sie sind eine Erinnerung, jedoch nicht für Nostalgie, sondern für unsere Unmöglichkeit des vollständigen Lernens, bevor sie in die Konsum-Leere verschwinden.« Ein Moment des reflektierenden Innehaltens also, das sich gegen das Immer-Schneller, -Weiter und -Besser, die sich auftürmenden Halden von Zivilisationsmüll und das große Vergessen im unendlichen digitalen Raum stemmt. So gesehen, hätte der alte Super Mario, von Beruf sowieso schon Klempner, eigentlich ideale Voraussetzungen, um in einer zeitgemäßen Version auf Recycling-Ingenieur umzusatteln und eine neue Karriere als digitaler Öko-Opa zu starten. Total verpixelt natürlich, aber bitte, bitte ohne Orgel. [um]

 

Wenn schon von digitaler Retroästhetik die Rede ist, dann dürfen sie nicht fehlen: die Brüder David und Henry Dutton und ihr 8-Bit Cinema. Hier können geneigte Cineast·innen auf ca. drei Minuten zusammengeschrumpfte Filmklassiker wie Clockwork Orange, Matrix oder Das Schweigen der Lämmer in original Super-Mario-Style bewundern. Frech, einigermaßen absichtsvoll naiv, darin aber allemal zum Schmunzeln.

 

Verdamp lang her, der Evergreen von BAP – da er nun schon mal (wenn auch nicht im korrekten Wortlaut) Erwähnung im obigem Artikel fand, soll er auch Gehör finden. Gewissermaßen als Soundtrack für alle, die Raquel Meyers zum Trotz ganz gerne mal in nostalgischen Gefühlen schwelgen: Nachzuhören hier in der legendären letzten Rockpalast-Nacht-Aufnahme …


 

Kalender
Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion
 

Einreichungen bis 15. April 2022

Joseph Binder Award zu Grafikdesign & Illustration von designaustria


Let’s celebrate the creative process – bereits zum 16. Mal schreibt designaustria den internationalen Joseph Binder Award mit Schwerpunkt Grafikdesign & Illustration aus. Designer·innen, Illustrator·innen und Agenturen sowie Studierende aus aller Welt sind eingeladen, ihre zwischen 2020 und heute realisierten Arbeiten bis spätestens 15. April 2022 beim Wettbewerb zu fairen Konditionen in 13 Kategorien einzureichen. Early Bird Tarif bis 28. Februar 2022, reduzierte Gebühren für Mitglieder vieler Partnerorganisationen.


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14. bis 22. Mai 2022

MOVING HORIZONS: die Münchner Designwoche (MCBW) 2022


Nun ist also auch die Münchner Designwoche aus dem März in den Mai verschoben worden, angesichts der berühmt-berüchtigten Omikron-Wand wohl sehr sinnvoll. Das in Zusammenarbeit von Anette Lenz mit Boris Kochan und seinem Team entwickelte Key Visual wurde angepasst: Die Moving-Horizons-Animation aus der Lektorat von Florian Fecher ließ sich dank der Variable-Font-Technik sogar besonders gut nutzen, um die Verschiebung zu kommunizieren – siehe den Header auf der MCBW-Webseite.


 

Das Fundstück der Woche

 
 

Auf seinem Streifzug durch die spielerisch-musikalische Pixelwelt ist 8daw-Redakteur Ulrich Müller auch dem Projekt PIXELSYNTH der Programiererin und Medienkünstlerin Olivia Jack begegnet: Inspiriert vom ANS-Synthesizer des russischen Ingenieurs Evgeny Murzin aus dem Jahr 1937 nutzt Jack Bilder und Zeichnungen als Grundlage für die Klangerzeugung.

Aufgenommen und neu interpretiert hat der Komponist, Produzent und Performer von zeitgenössischer Jazz- und Popmusik Clemens Wagner diese Ideen in Physics Of Beauty – ein Album, das nicht nur als Klang-, sondern in Verbindung mit den Visuals der beiden Medienkünstler·innen Alessia Scuderi und Gianluca Monaco auch als digitales Online-Kunstwerk erlebbar ist: Pixel at it’s best!


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel]Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
Andy Warhol, Untitled (Self-Portrait)
Andy Warhol, Untitled (Flower)
Andy Warhol, Untitled (Self-Portrait)
Andy Warhol, Untitled (Banana)

Andy Warhol, Untitled (Campbell’s Soup Can)
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Fundstück
Physics of Beauty, Clemens Wenger


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