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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 6. Mai 2022

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

De-Koinzidierung, diese Wortschöpfung begegnete mir in unseren Streifzügen dieser Woche erstmals in einem Interview mit seinem Erfinder, dem französischen Philosophen François Jullien. Ihn interessiert das Zwischen, der Abstand, und all das, was darin entstehen kann. Es geht ihm nicht um das Vergleichen oder die Annäherung, sondern das Potenzial der Gegenüberstellung – denn genau dadurch wird ein gemeinsames Feld der Reflexion befördert: »Ich denke, es gibt eine fatale Tendenz zur Koinzidenz. Also dazu, dass Dinge sich nicht nur angleichen, sondern richtiggehend übereinfallen. Man kann es sich so vorstellen wie zwei Flächen im geometrischen Sinn, die sich übereinanderlegen, und wenn sie identisch sind, sagt man: Das passt. Aber eigentlich ist diese Übereinstimmung das Ende.«         

Roger Ballen, dem wir uns in dieser 8daw-Ausgabe widmen, hat sich bereits als Jugendlicher der Welt mit der Kamera genähert – und immer wieder das Andere gesucht. Seine Bilder inszenieren Wirklichkeit – sie wollen in ihrer erstaunlichen Gleichzeitigkeit von Distanz und Nähe tief in das Innere ihrer Betrachter. Das Absurde trifft auf Spirituelles, Fiktion und Authentizität stehen plötzlich nicht mehr im Widerspruch. Jullien sagt dazu: »Das Neue entsteht nur in Abstand zu dem, was schon da ist.«

Schönes Wochenende!
Boris Kochan


 
 

Dresie and Casie, Twins, Western Transvaal, 1993


Der Auslöser
 

Das Betätigen des Auslösers sei »der Moment, da Hoffnung und Verzweiflung aufeinandertreffen und eine die andere erhellt«, sagte Arthur Miller über Henri Cartier-Bresson, der mit seiner Arbeit Roger Ballen prägte. Wenngleich sich bei diesem die Vorzeichen ändern, als hielte man ein Negativ gegen das Licht: Bei Ballen scheint die Verzweiflung alles zu verdunkeln. Doch ja, die Achtsamkeit, das scharfe Auge, die Beziehung zum menschlichen (tierischen, dinglichen, sich in diesen Dimensionen oft genug durchdringenden) Objekt der Fotografie, all das weist die Nähe zu seinem Vorbild aus.

Das Ergebnis dieser Arbeit lässt sich nicht treffender beschreiben, als es der Schriftsteller Peter Truschner mit dem Ausdruck den Betrachter in Erstaunen geraten lassen gelingt – ein so vordergründig unaufgeregter Begriff wie Erstaunen trifft exakt den Geist der formell schlichten Bildkompositionen, in denen Ballen zunächst den schmalen Grat zwischen Dokumentation und Kunst auslotet, bevor er sich in den 90er-Jahren der dokumentarischen Fiktion zuwendet. Vom ungeschönten Fokus auf Menschen, die reglos in die Kamera blicken, wandelt sich sein Stil schließlich zum Zoom hinein in skurrile und desolate Lebenswelten, die den gesellschaftskritischen Blick gnadenlos in die eigene Psyche, ins Mentale lenken. Gerade seine Aufnahmen prekärer Lebensverhältnisse in Südafrika provozierten den Vorwurf, den ethisch akzeptablen Umgang mit der Not anderer zu missachten, weil sie nicht auf das Erreichen von Empathie beim Betrachter abzielten. Im SPIEGEL-Interview antwortet Ballen darauf: »Ich würde be­haupten, dass alle, die solche Einwände erheben, sich nicht ihrer eigenen dunklen Seite gestellt haben und diejenigen angreifen, die sich nicht ihren Regeln beugen.« Und schon hat er – sogar ohne Kamera – ganz leise, auf den von Cartier-Bresson beschworenen fotografischen Samtpfoten den Auslöser gedrückt … [sib]


 

Voyeur, South Africa, 1975

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My Leg, South Africa, 1975


 
 

Lunch Break, Mexico 1971

 
 

Advert, Belize 1979


 
 
Die dunkle Seite der Seele
 

Gewaltsame Ausschreitungen, Umweltkatastrophen, Pandemie, Abriegelung, Isolation. Die erzwungene Unterbrechung alltäglicher Begegnungen öffnet gerade Kulturschaffenden Räume zur tiefen Hinterfragung und Selbstreflexion. Rückzug kann verborgene Wahrheiten ins Licht schieben, kann die Vorstellungskraft stärken, weiten, den eigenen künstlerischen Ausdruck wandeln. So wurde der diesjährige südafrikanische Pavillon auf der Biennale Arte unter das Thema Into the Light gestellt. Dorthin laden drei Künstler in kongenialem Zusammenspiel ein: Lebohang Kganye fotografiert sich in den Märchen ihrer Kindheit – umgeben von der Realität südafrikanischer Townships. Phumulani Ntuli stellt sich in futuristischen Stop-Motion-Animationen selbst als Entdecker dar, der seine afrikanische Kleidung ablegt, um in ein Meer aus Papierwellen in die Welten der Vorstellungskraft einzutauchen. Roger Ballen nimmt als Ausgangspunkt für sein Theater of Apparitions die Kritzeleien inhaftierter Frauen auf geschwärzten Gefängnisfenstern. Er beschichtet Glas, kratzt die Beschichtung ab und beleuchtet das Glas von hinten. Leuchtkästen entstehen, rätselhafte Gesichter und geisterhafte Figuren, schattenhafte Erscheinungen, die in monochromer Farbigkeit und verstörenden Ritualen miteinander verbunden sind. Daniel Völzke spricht in seinem kurzen Bericht in Monopol von den »Röntgenbildern der Seele«. Bis 27. November auf der Biennale, Venedig, Arsenal. [gw]


 
 

Man drawing Chalk Faces, 2000

 
 

Head inside Shirt, 2001


 
 

Eugene on the Phone, 2000

 
 

Head between Feet, 1999


 
 

Addict, 2014

 
 

Dogfellows, 2014


Vier Fragen an Roger Ballen
Fragmente des Unbewussten
 

Sie haben in der Vergangenheit häufig gesellschaftliche Außenseiter fotografiert. Was hat Sie an dieser Thematik gereizt? Und sehen Sie sich selbst auch als eine Art Außenseiter? Seit ich vor etwa zwanzig Jahren mit der Portraitfotografie aufgehört habe, werden meine Arbeiten eher von Tieren, Zeichnungen, Installationen und Details des menschlichen Körpers dominiert. Ich selbst habe mich dabei immer als Außenseiter betrachtet, egal wo ich gelebt habe. Ich vermute, dass dies einer der Gründe dafür ist, dass ich mich zu Menschen hingezogen fühle, die als Randgruppen oder als am Rande der Gesellschaft lebend angesehen werden könnten.

Betrachten Sie ihre Bilder und Filme auch als politische Statements oder geht es eher darum, versteckte Ängste bewusst zu machen? Für nachhaltige politische Veränderungen muss es psychologische Veränderungen geben. Wenn es mir mit meinen Fotografien gelingt, an die Psyche der Menschen zu kommen, dann besteht die Möglichkeit, dass sich damit auch das politische Bewusstsein verändert. Es geht darum, einen Teil der Psyche dazu zu bringen, mit den anderen Teilen zu sprechen und so verdeckte Teile des eigenen Geistes zu entdecken.

In Ihren fotografischen Inszenierungen verbinden Sie häufig fotografische und zeichnerische Elemente. Welche Ursprünge haben die Zeichnungen und sind Sie bei der Bildgestaltung auch von bestimmten Stilen bzw. Epochen der Malerei beeinflusst? Ich sage oft, dass man meine Zeichnungen als eine Mischung aus Surrealismus, Art Brut und Ballenesque betrachten kann. Das Zeichnen bin ganz ich: Meine Hand folgt den Anweisungen meines Geistes. Die Linien, Gesichter und Körper sind Bruchstücke eines ursprünglichen Selbst.       

Sie haben häufiger mit Musikern zusammengearbeitet. Spielt Musik für Sie in der Arbeit und im Leben eine besondere Rolle? In der heutigen Welt des überflüssigen Lärms sind Stille und natürliche Klänge Musik für meine Seele.


 
 

Chopping Wood, 1998


Kalender
Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion
 
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ab sofort

Blindly


»And I ain't prepared for this / But I can't resist / This time I'll go blindly …« – anlässlich von neunzig 8daw-Ausgaben hatten Manuel Mählenhoff aka Astro und Pavlo Kochan einen kleinen Film gemacht – nun geht ihre Zusammenarbeit weiter. Das junge Label ITOI RECORDS hat soeben mit Julz Nartey seinen ersten Song herausgebracht: In Blindly geht es um Sehnsucht und Liebe, um Vertrauen und Neugier: »Ich gehe auf Besichtigungstour / In deiner Seele / Ich möchte bleiben«. Verfügbar auf allen gängigen Streaming Plattformen.

 

20. und 21. Mai 2022, München

GRANSHAN: Signs of the times, a Two-Day-Hybrid- Conference


Give voice to type: Schrift ist jetzt. Schrift ist überall. Schrift differenziert und führt zusammen. Buchstaben – gerade die nicht-lateinischen – helfen Menschen, sich ihrer Heimat zu vergewissern. Sie schafft eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen hier und dort. Die zweitägige GRANSHAN Conference Signs of the times geht den großen und kleinen Fragestellungen nach, welche die Typographie-Community beschäftigen genauso wie Schriftanwender·innen – jeden Tag, überall auf der Welt. Günstiger Regular-Tarif noch bis 10. Mai.

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7. Mai bis 28. August, Frankfurt

Erfolgsprogramm Künstlerbücher:
Walther König


Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt widmet der besonderen Verbindung aus Kunst, Buch und verlegerischer Gestaltungskraft zum ersten Mal eine Ausstellung: ein Portrait des Verlags der Buchhandlung Walther König entlang von Künstlerbüchern. Die publizistischen Strategien Walther Königs haben seit den 1960er Jahren entscheidend zur Durchsetzung verschiedenster Kunstrichtungen beigetragen und dem Phänomen Künstlerbuch Aufmerksamkeit verliehen: mehr als 4.000 Titel umfasst die Backlist mittlerweile.


Das Fundstück der Woche

 
 

Ohne Worte


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel]Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
Fotografien
© Roger Ballen
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Kalender
Julz Nartey von Daniel Gassner
·
Fundstück
© Imgur


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