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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 15. Oktober 2022

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

sagt Ihnen der Name Ralf Wolter etwas? Eher nicht, oder? Dabei ist er für diejenigen unter uns, die sich noch an die Karl-May-Verfilmungen und mit einer gewissen Zuneigung an die allzu schönen Geschichten von Pierre Brice als Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand erinnern, durchaus eine Legende: Er spielte Sam Hawkens, jenen Mann mit der eigenartig quengelnden, langgezogenen, ja leiernden Fistelstimme, dem sein Skalp nicht mehr zu nehmen war …, denn er trug Perücke.

Nun soll es in dieser 8daw-Ausgabe wahrhaftig nicht um die Kunst der Nebenrolle gehen, die der kürzlich verstorbene Ralf Wolter in wohl etwa 250 Rollen für das deutsche Kino und Fernsehen ausgefüllt hat, und auch weniger um die immer irrer werdenden Diskussionen um kulturelle Aneignung, Cancel Culture und den richtigen Umgang mit Klischees des Nachkriegsdeutschlands. Sondern ganz generell um die zumeist eher weniger beachteten Nebendinge im Leben – am Beispiel der Toilette.

They come for the drinks, but stay for the toilets – erstmals habe ich diese Idee, den Toiletten bei der Gastronomiekonzeption eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen, bei der (natürlich!) von Philipp Starck ausgestatteten Felix Bar und Restaurant im The Peninsula Hotel in Hongkong erstaunt ausprobieren können. Das ist aber noch wohl so ganz und gar überhaupt nichts im Vergleich zum Kosmos, in dem man sich in London im Restaurant Sketch der Verschmelzung von Kunst und Kulinarik hingeben kann. Mit entsprechender Toilettenausstattung werden hier nicht nur Feuchtraumphilosophien wahr …, sondern die Idee von einem Zufluchtsort der spirituellen Ruhe, wie der japanische Schriftsteller Tanizaki Jun’ichirō ihn nennt, bekommt eine ganz neue Dimension. 

Ich wünsche Ihnen herzlich ganz besondere Rückzugsorte an diesem regnerischen Herbstwochenende!
Boris Kochan

 

Ach übrigens: Ich war bisher noch nicht im Restaurant Sketch – will aber im kommenden Jahr unbedingt einen Ausflug nach London machen, um unter anderem auch in diesen Kosmos einzutauchen. Wer Lust und Zeit hat mitzukommen: bitte E-Mail an mich. Vielleicht machen wir dann den ersten 8daw-Ausflug draus.


 
 

SKETCH: The Glade room


Ein ganz besonderer Wertstoff
 

Wenn Kinder mit knapp zwei Jahren entdecken, dass sie ihre Muskeln souveräner beherrschen, wird das Festhalten und Loslassen von Kot und Urin zum köstlichen Spiel: Selbstständigkeit! Macht! Kontrolle! Innen-außen-Zauberei! Ganz und gar Meins! Von Eltern wird in dieser, der analen Phase, natürlich reichlich Fingerspitzengefühl, Zuwendung und Langmut erwartet.

Dass Exkremente nicht etwa scheiße sind, beweist die niederländische Künstlerin Jalila Essaidi, die feine Papiere und Textilien aus recyceltem Kuhdung entwickelt. Und Forscher rund um den Chemieprofessor Alexander Bismarck verwandeln Kot von Pflanzenfressern in wertvolle Nanozellulose. Dieser Kot enthält nämlich – ähnlich wie Holz – bis zu 40 Prozent Zellulose und wächst – im Gegensatz zu Holz – rapide nach. Könnte eine vegane menschliche Ernährung etwa eine innovative, global-verfügbare Ressourcenquelle erschließen? Der Künstler Piero Manzoni, dessen Vater im Übrigen eine Konservenfabrik besaß, präsentiert 1961 sein bekanntestes Kunstwerk, die Merda d’Artista: 90 Blechdosen, die angeblich je 30 Gramm Künstlerscheiße enthalten. Die Dosen sind signiert, nummeriert und etikettiert. Der Verkaufswert errechnet sich aus der alchemistischen Formel: 30 Gramm Künstlerscheiße entsprechen dem Wert von 30 Gramm Gold. Die Grenzen des öffentlichen Geschmacks hat Marcel Duchamp mit seinem Urinal Fountain deutlich überschritten. Die Jury der Jahresausstellung Society of Independent Artists in New York lehnt das Werk 1916 ab: »Alltagsgegenstände können keine Kunst sein.« Wahrscheinlich landete deshalb das heute legendäre Original-Urinal einfach auf dem Müll. Exakt hundert Jahre später präsentiert das Guggenheim-Museum in Manhattan die Skulptur Amerika des Italieners Maurizio Cattelan, ein voll funktionsfähiges WC aus 18-karätigem Gold. Die Diskussion über Wertstoff und Abfall ist in vollem Gange. [gw]


 
 

SKETCH: The Lecture room


Die wunderbare Welt der Anja U.
 

In einem der zahllosen Interviews zu dem neuen und selbstverständlich höchst umstrittenen Buch Die Vierte Gewalt, das er gemeinsam mit Richard David Precht geschrieben hat, mäkelte Harald Welzer unlängst herum, der Journalismus hätte sich dermaßen auf die Vervielfachung schlechter Nachrichten eingeschossen, dass schlicht kein Raum mehr bliebe, um auch mal Erbauliches zu vermelden. Dem wollen wir an dieser Stelle nachkommen. Untergegangen ist zum Beispiel in der allgemeinen Endzeitstimmung, dass das weltweite FCKW-Verbot Früchte trägt und sich das Ozonloch über der Antarktis langsam schließt. Erfreulich auch, dass britische Forscher vor Kurzem herausgefunden haben, dass ausgerechnet – ja – Exkremente sich für den Kampf gegen den Klimawandel als hilfreich erweisen könnten. Der Gang zur Toilette als Beitrag zur Weltrettung … wunderbare Wissenschaft.

Toiletten scheinen sich anderslautender Meinungen zum Trotz ganz gut dafür zu eignen, der Welt auch etwas positiven Glanz zu verleihen. Im unlängst schon portraitierten Münchner Stadtviertel Sendling etwa gibt es so ein Örtchen, das weit über die Grenzen Münchens hinaus eine bemerkenswerte Strahlkraft entwickelt hat: Das KloHäuschen der Künstlerin und Betreiberin des realitaets büros Anja Uhlig. Eigentlich ist es ja das ehemalige Pissoir der Münchner Großmarkthalle, das Uhlig dem Unternehmen abgetrotzt und daraus unter Einsatz von jeder Menge Scheuermilch einen fantastischen und ganz und gar bezaubernden Kunstort gezaubert hat. Über 100 Künstler·innen aus aller Welt haben auf den acht Quadratmetern schon ausgestellt, Musik gemacht und performiert. Inzwischen gibt es sogar eine KloHäuschen-Biennale. Das renommierte Kunstforum hat berichtet und 2018 wurde Anja Uhlig von der Süddeutschen Zeitung mit dem begehrten Tassilo-Preis ausgezeichnet. Toilet at its best! [um]

 

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle auch der Planet Bethselamin. Erinnern Sie sich? Jener Planet aus feinstem Käse, dessen Besucher sich nach dem Besuch der Toilette eine Quittung ausstellen lassen müssen, damit der Zuwachs an Körpergewicht und eventuelle Ausscheidungen in Relation zueinander gesetzt werden können. Erfunden hat diesen Planeten Douglas Adams in seinem Kult-Science-Fiction Per Anhalter durch die Galaxis, den es inzwischen auch als Hörbuch mit der Stimme von Christian Ulmen gibt.


 
 

SKETCH: The toilette room I


Schöner scheißen I
 

Schöne Scheiße! Verunglückt ein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit auf der Toilette, gilt das gemeinhin nicht als Arbeitsunfall. Nur bei Beamten handelt es sich laut Verwaltungsgericht Berlin beim Scheißebauen offensichtlich um einen Dienstunfall, logisch! Aber schließlich kommt ja die das Exkrementieren vornehm umschreibende Formulierung ein Geschäft erledigen aus dem alten Rom, wo man beim gemeinsamen Latrinengang regen Handel betrieb, und zwar nicht nur mit Darmbakterien. Letztere wurden im Mittelalter wahrlich mit Füßen getreten: Weil das Volk seine Nachttöpfe auf die Gasse entleerte, trugen Fußgänger am besten hohe Holzschuhe, sofern sie sich keinen Begleiter leisten konnte, der vor ihnen den Weg abschritt, um auf delikate Häufchen aufmerksam zu machen und zu prüfen, ob die Luft rein sei.

Die königlichen Lüftchen zu schnuppern war später eine Ehre, die nur hochgestellten Besuchern zukam: Sonnenkönig Louis XIV. gewährte Audienz, während er seinen Stuhlgang pflegte. Erst als das Bedürfnis nach mehr Intimität bei der Verrichtung aufkam, erfindet man sozusagen das lebende Dixi-Klo: So wird berichtet, dass Ende des 18. Jahrhunderts in Edinburgh Menschen mit langen schwarzen Umhängen durch die Straßen liefen. Sie boten Passanten an, fürs Geschäft unter ihren Mantel zu schlüpfen und sich dort in einen Eimer zu entleeren. Spätestens wenn der umfiel und sich in die Schuhe des sogenannten mobilen Abtrittsanbieters ergoss, hätte man durchaus von einem Arbeitsunfall sprechen können … [sib]


 
 

SKETCH: Staircase to the toilette room


Schöner scheißen II
 

Hallen der Inneren Harmonie heißen Scheißhäuser in China, was jetzt rein gar nichts über das Verhältnis der dortigen Regierung zur Harmonie aussagen soll. Dem Wohlbefinden bei der Darmpflege jedenfalls misst man im prosperierenden Staat neuerdings so große Bedeutung bei, dass gar ein offizieller Toiletten-Beauftragter die Einhaltung der strengen Hygieneregelungen überwacht, die bis hin zur Bestimmung einer Obergrenze der Fliegenanzahl pro Quadratmeter reicht. Statt der Löcher im Boden oder Einlassungen mit schmuddeligen Trittplatten gibt es inzwischen auch Sitzklosetts, sogar – für Asiaten ungewohnt – mit Kabinen zum Abschließen.        

Zur eigentlichen Toiletten-Hochkultur hat es aber Japan gebracht. Das angesagte Washlet, das mit Blutdruck-, Gewichts-, Körperfett- und Urinanaylse bereits den Routinecheck beim Arzt ersetzt, winkt dem sich nähernden Toilettenbesucher mit einem sich automatisch öffnenden Deckel einen Willkommensgruß entgegen, umschmeichelt mit deodorierten Düften die Nase und übermalt die Töne der Leibesentleerung und -entlüftung diskret mit Vogelgezwitscher. Einer zärtlich rieselnden oder feucht druckmassierenden Intimdusche folgt sanftes Trockenföhnen der Körperregion.

Wem diese natürliche Anziehungskraft nicht genügt, der muss allerdings ein bisschen tiefer in die Tasche greifen: 19 Millionen US-Dollar kostete die All-Toilette, die in der ISS verbaut wurde – mit Beinklemme und Oberschenkelriegel, damit die Astronauten beim Kacken nicht davonschweben – samt Absaugvorrichtung fürs Häufchen und Trinkwasser-Rückgewinnungsanlage. [sib]


 
 

SKETCH: The toilette room II


Das Fundstück der Woche

 
 

Die Wege des Herrn sind unergründlich – anlässlich seines Auftritts beim Wiesbadener Founder Summit des sich Entrepreneur University nennenden Eventveranstalters Freshminds UG vor ein paar Tagen schaffte es Dieter Bohlen mal wieder in die Twitter-Charts zu kommen. Der Bayerische Rundfunk dokumentiert: »Unter Gejohle und Beifall der Anwesenden sagte Bohlen über die Politik des Westens gegenüber Wladimir Putin: ›Wenn sie die Sanktionen nicht gemacht hätten und man hätte sich vernünftig an einen Tisch gesetzt, dann bräuchten sie jetzt nicht den ganzen Firlefanz machen. Jetzt müssen wir frieren, das ist doch alles Scheiße.‹ Russland verkaufe jetzt ›für viel, viel mehr Geld‹ sein Gas nach Asien, behauptete Bohlen ohne konkrete Belege, er könne auch nicht verstehen, dass der ›Rubel steigt und der Euro fällt‹«. Auch das 8daw-Fundstück der Woche wurde aus diesem Anlass auf Twitter wieder aufgegriffen – 2019 hatte Dieter Bohlen zu seinem Konzert angekündigt: »Jeder weiß, dass ich eines besonders gut kann: Nämlich die Leute mit spannenden Geschichten zu unterhalten. Es wird nicht nur ein reiner Konzertabend, sondern ich möchte, dass die Leute lachen, Spaß haben und dabei tolle Hits hören.«


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel]Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
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Fundstück
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