ei8ht days
a week – Streifzüge durch
den Wandel
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mit
Boris Kochan und
Freunden am 11.
November 2022
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Sehr geehrte Damen und Herren,
Design
ist in Bewegung geraten: Über
die letzten Jahre hat
Design seine traditionell
zugewiesenen Räume zwischen
Kommunikations-, Produkt- oder
Webdesign verlassen und sich
geöffnet nicht nur für
Kooperation und
Interdisziplinarität, sondern
auch für soziale, kulturelle und
ökologische Themen. Zunehmend
lösen sich Designerinnen und
Designer aus der Rolle des
ausführenden Dienstleisters,
wagen sich aufs Feld der
Selbstverantwortung, nehmen die
Multikrisen unserer Zeit in den
Blick, bringen ihre Befähigung
zum freien, undisziplinierten,
heterogenen Denken ein, um –
gemeinsam mit Anderen – Wege zu
öffnen, zu finden, zu
beschreiten, die zu neuen
Lösungen führen.
Auch auf dieser Grundlage
bewirbt sich die Region
Frankfurt-Rhein-Main unter der
Leitung von Prof.
Matthias Wagner K um den
Titel World
Design Capital
2026, welcher
von der aus dem International
Council of Societies of
Industrial Design (ICSID)
hervorgegangenen World
Design
Organization in
jedem zweiten Jahr vergeben
wird. Die Herausforderung: Den
Designkonzepten muss eine
gesellschaftliche Wirksamkeit
eingeschrieben sein. Matthias
Wagner K stellt die Bewerbung
der Region Frankfurt-Rhein-Main
unter das Motto Design for
Democracy. Atmospheres for a
better life. Es geht
also um nichts weniger als um
das bessere Leben. Auf
die Frage, was das denn sei,
antwortet Matthias Wagner K
in einem schlauen
Gespräch mit Felix
Kosok, »dieses bessere
Leben kann für mich nur eines
sein, das wir so ausgestalten,
dass die nachfolgenden
Generationen genau dieselbe
Chance haben, ein solches auch
zu leben.«
Herzlich Gabriele
Werner
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Die Bilder dieser Ausgabe wurden alle
mit der zum Bereich des maschinellen
Lernens gehörenden Software
DALL·E 2 von OpenAI
gestaltet, einem im September
2022 in seiner aktuellen Fassung
vorgestellten algorithmischen System
(gern auch künstliche Intelligenz
genannt), das anhand einer Beschreibung
in natürlicher Sprache realistische
Bilder und Kunstwerke erstellen kann.
Das Programm nutzt künstliche neuronale
Netzwerke, um Wörter als Input in
Anordnungen von Pixeln als Output zu
transferieren. Mithilfe von
Textanordnungen können von dem Programm
fotorealistische Bilder erstellt werden.
Die Software kann dabei völlig neue
Konzepte abbilden und Bilder in
verschiedenen künstlerischen
Stilrichtungen kreieren. Um Bilder
erzeugen zu können, wurde das Modell
mithilfe von Millionen im Internet
verfügbaren Bildern trainiert. Natürlich
ist die Software umstritten – unter
anderem, weil das Programm kulturelle
Voreingenommenheit befördert: Es beruht
allein auf der englischen Sprache und
die Bilder zum Training des Programms
stammen zum größten Teil aus dem
westlichen Kulturkreis, sodass die
generierten Bilder stereotype
Vorstellungen widerspiegeln dürften. Die
Bildunterschriften geben die Texte
wider, die dem jeweiligen
Kunst-Bild zugrunde liegen.
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Gegen die Gewöhnlichkeit /
Against ordinariness
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Mit Design Demokratie
denken
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Auch Design ist politisch lautet
ein weit verbreiteter Standpunkt der
Kreativbranche – nicht nur von
Designtheoretiker Friedrich von Borries,
der in seiner vielfach kritisch
hinterfragten Aktions-Ausstellung
in der Neuen Sammlung 2018/2019
dies gleich zur Fragestellung »Kann
Design die Demokratie verbessern?«
verdichtete. Denn, so
führt er an anderer Stelle aus:
»Entwerfen, Unterwerfen. Alles, was
gestaltet ist, unterwirft uns unter
seine Bedingungen. Gleichzeitig befreit
uns das Gestaltete aus dem Zustand der
Unterwerfung, der Unterworfenheit.
Design schafft Freiheit, Design
ermöglicht Handlungen, die zuvor nicht
möglich oder nicht denkbar waren.«
Der Designtheoretiker
Ezio Manzini hat in einem
beeindruckenden Vortrag zu Design und
Demokratie bei der Design
Policy Conference in der
diesjährigen World
Design Capital Valencia
Mut gemacht, sich vom Anspruch zu
befreien, die immer größer und
disruptiver werdenden Problemfelder
durchdringen oder gar systematisch
ordnen zu können. Gerade angesichts
multipler Krisen lässt sich »Komplexität
sowieso nicht steuern … und schon gar
nicht gestalten«. Insbesondere, aber
nicht nur, wenn es um soziale
Innovationen und Nachhaltigkeit geht,
ist es besser, »Komplexität als Wert zu
begreifen«. Um nachhaltig zu wirken,
»bedarf es der Betrachtung der Kontexte,
in denen die Menschen agieren«. Denn
diese lassen sich von Gestaltenden aller
Art verändern und so die Handelnden
beeinflussen – gerade auch partizipativ!
Er empfiehlt entsprechend, im
Kleinen,
also mittendrin anzufangen, sich von den
in der westlichen Welt so gerne
genutzten systematischen, deduktiven
Herangehensweisen zu lösen. Es gibt dazu
nur eine Bedingung … die in der
Designtheorie gerne Empathie
genannt wird. Sein Wort ist viel
direkter, er sagt, das einzige, was
unabdingbar ist, ist
Nähe. [bk]
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Die beiden Herausgeber des Sammelbandes
Design
and Democracy, Michael
Erlhoff und Maziar Rezai, schreiben in
ihrer Einführung Underneath the
Pavement auch über das so
Komplizierte wie Interessante an dieser
Verknüpfung. Denn »sowohl Demokratie als
auch Design verstricken sich permanent
in Widersprüche. Sie sind ein
Versprechen auf soziale und friedliche
Entwicklung und zugleich auf Erfindungen
und neue Perspektiven.« Dabei sollte man
sich mit dem Dazwischen
beschäftigen, um »die inneren
Zusammenhänge und das Potenzial« von
Demokratie wie auch das von Design zu
verstehen und zu nutzen. Zu
berücksichtigen ist dabei allerdings, so
die Professorin am Einstein
Center Digital Future,
Michelle Christensen, dass die
eigentliche Kunst des Designs in ihrer
Disziplinlosigkeit liegt, sich niemals
der Stabilität hingibt, sondern in den
Überschneidungen von Unstimmigkeiten,
Ungewissheiten und Komplexitäten
schwelgt.
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Interessenpartikularisierung
/ Particularisation of interests
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»Man
braucht nicht religiös (…) zu sein, um
zu begreifen, warum die Große
Katastrophe zur Göttin des
Jahrhunderts werden musste. Da sie über
die Aura des Ungeheuren verfügt, kommen
ihr die wesentlichen Merkmale zu, die
bisher den transzendenten Mächten
zugeschrieben wurden.« Die Große
Katastrophe, von
der Peter Sloterdijk spricht,
ist die ökologische. Ihre Vorboten sind
allgegenwärtig und sie entfaltet durch
die schiere Unfassbarkeit ihrer
Dimension eine Macht, ähnlich der, die
in früheren Zeiten göttlichem Walten
zugeschrieben wurde.
Vor dieser Katastrophe sind wir alle
gleich. Die Parole der Französischen
Revolution, Freiheit,
Gleichheit,
Brüderlichkeit, jene auf
drei Worte eingedampfte Gründungscharta
moderner Demokratien, hat sich,
zumindest was die Gleichheit angeht,
hier aufs Unvorteilhafteste eingelöst.
Und diese Gleichheit ist absolut. So
absolut, dass sie in alle nur denkbaren
Handlungsräume des Lebens hineinragt,
die Spiel-Räume in Beschlag
nimmt und dabei auch diktatorische Züge
angenommen hat. Die Folge, so
Sloterdijk, sei eine Nivellierung
riesigen Ausmaßes, der zu entrinnen kaum
noch möglich sei. Des Philosophen
vernichtendes Fazit: Wir leben heute »in
den Vereinigten Staaten der
Gewöhnlichkeit«.
Diese
bittere Diagnose ändert indes nichts an
der Gültigkeit des ökologischen
Imperativs, den Hans
Jonas in Anlehnung an Kants
kategorischen Imperativ
formulierte: »Handle so, dass
die Wirkungen deines Handels verträglich
sind mit der Permanenz echten
menschlichen Lebens auf Erden.« Was für
eine Herausforderung für den Menschen
als gestaltendes Wesen! Überall ist
diese Herausforderung präsent – beim
Gestalten des eigenen und des
Zusammen-Lebens und natürlich auch bei
der Gestaltung der Umwelt und der Dinge,
die uns umgeben. All das sind aber auch
Gebiete, auf denen heutiges Design in
seinen unterschiedlichen Facetten
entsteht und wirksam ist. Dabei kann
Design entgegen einem erdrückenden
Gleichheitspostulat und ohne dabei
Verantwortung aufzugeben seine ihm
einbeschriebene gestalterische Freiheit
in die Waagschale werfen. So können sich
auch die Hoffnungspotenziale dieser
Freiheit entfalten, die keineswegs naiv
sind, sondern den Zumutungen der Welt
trotzen. [um]
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Sie war nicht gerade unumstritten als
Kulturstaatsministerin. Die Süddeutsche
Zeitung würdigte ihr Engagement für eine
bessere finanzielle Ausstattung der
Kultur und kritisierte zugleich ihre
»brachialen« Methoden. Nicht
abzusprechen ist Monika
Grütters jedoch, dass sie 2014,
anlässlich Friedrich Schillers
Geburtstag im Marbacher Literaturarchiv,
eine bemerkenswerte Rede über die
Versöhnung des Ästhetischen mit
dem Politischen hielt,
die bei allen möglichen Einsprüchen doch
auch nachdenklich stimmt.
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Dunkle Wolken umkreisen auch die
Demokratie, die sich von ihrer Geburt in
der Antike als Gemeinschaft von
Menschen, die Polis-Bewohner und
Politiker gleichermaßen waren, gewandelt
hat zur repräsentativen Demokratie der
Moderne: über einen steinigen Weg, der
die Bürger Schritt für Schritt ein Stück
Mitbestimmungsmöglichkeit kostet. / But
it is also dark for democracy, which has
changed from its birth in antiquity as a
community of people who were polis
inhabitants and politicians in equal
measure to the representative democracy
of the modern age, via a rocky road that
step by step costs citizens a piece of
the possibility of co-determination.
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Die Nacht ist
menschgemacht
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Alle, die sich auch dieses Mal wieder
schwer damit tun, ihre innere Uhr auf
Normalzeit zu takten, wissen, was der
Schweizer Soziologe Lucius Burkhardt
meint, wenn er die Nacht als
menschgemachte Institution
sieht, »bestehend aus
Öffnungszeiten, Schließungszeiten,
Tarifen, Fahrplänen, Gewohnheiten,
Straßenlampen« und eben auch aus
Uhrzeitkonventionen. Womit sich die
Nacht – genau wie ein Krankenhaus, ein
Haushalt, ein Arbeitsplatz – einer
gestalterischen Notwendigkeit anheim
gibt.
Dunkle
Wolken umkreisen auch die Demokratie,
die sich von ihrer Geburt in der Antike
als Gemeinschaft von Menschen, die
Polis-Bewohner und Politiker
gleichermaßen waren, gewandelt hat zur
repräsentativen Demokratie der Moderne:
über einen steinigen Weg, der die Bürger
Schritt
für Schritt ein Stück
Mitbestimmungsmöglichkeit
kostet. Hat also nicht auch die
Demokratie ein Re-Design verdient? Etwa
im Sinne von Burckhardts unsichtbarem
Design, das eben nicht nur
unbewusstes Soziodesign ist. Sondern
fähig, »unsichtbare Gesamtsysteme,
bestehend aus Objekten und
zwischenmenschlichen Beziehungen,
bewusst zu berücksichtigen.«
Unabhängig davon könnte Politik auf
andere Weise von einer
verantwortungsvollen Gestaltung
profitieren, indem sie nämlich
adaptiert, was im Designprozess längst
etabliert ist: Fehlertoleranz. So sieht
der Historiker
Manfred Görtemaker die Demokratie
nicht am Abgrund – solange sie
resilient bleibt gegen menschliches
Versagen und sich auf ihre
Selbstheilungskräfte besinnt.
»Das athenische Beispiel ist ein sehr
gutes Beispiel dafür, wie angefangen mit
Solon über Kleisthenes bis hin zu
Perikles, tatsächlich eine Staatsform
konzipiert wurde, die in der Lage war,
Fehler zu beseitigen, Fehler zu
korrigieren. Und die modernen
Demokratien können das auch leisten,
auch wenn sie unter schwierigen,
komplexeren Bedingungen agieren
müssen.« [sib]
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Interessant ist in diesem Zusammenhang
auch das sogenannte Kreativitätsdispositiv
– wie der Kulturwissenschaftler
Andreas Reckwitz den sozial- und
kulturhistorischen Prozess bezeichnet,
bei dem der moderne Mensch der
Kreativität ebenso verpflichtet wie
lustvoll verfallen ist. In der
zunehmenden Orientierung am Kreativen
sieht Reckwitz eine Chance, weil die
gesellschaftliche Gestaltung so zum
immanenten Prozess wird. Zugleich
besteht aufgrund der von
Reckwitz ebenso konstatierten
gesellschaftlichen
Singularisierung die Gefahr
zunehmender Interessenpartikularisierung
… die irgendwo zwischen
Selbstoptimierung und
Aufmerksamkeitskonkurrenz schon heute
den populistischen Parteien in die Hände
spielt, oder?
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Der Transformationsprozess von der
Geburt in der Antike als Gemeinschaft
von Menschen, die gleichermaßen
Polisbewohner und Politiker waren, zur
repräsentativen Demokratie der Moderne:
über einen steinigen Weg, der die Bürger
Schritt für Schritt ein Stück
Mitbestimmungsmöglichkeit kostet. Hat
also nicht auch die Demokratie ein
Re-Design verdient? Etwa im Sinne von
Burckhardts unsichtbaren Design?
/ The process of transformation from the
birth in antiquity as a community of
people who were polis inhabitants and
politicians in equal measure to the
representative democracy of modernity,
via a rocky road that step by step costs
the citizens a piece of the opportunity
for co-determination. Doesn't democracy
also deserve a re-design in the sense of
Burckhardt's invisible design?
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Valencia at it's best: Use the
context!
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In
der
8daw-Ausgabe
BETA #13
vom
24. Juli 2020
haben
wir
uns
unter
anderem
mit
dem
Thema
geschlechterspezifische
Schreibweise
beschäftigt.
Im
Ergebnis
fanden
wir
die
Empfehlung
eines
Lesers
für
uns
am
geeignetsten:
»Der Mittelpunkt
(MacOS:
Shift+Alt+9;
Windows:
Alt+0183)
wird
eingesetzt
wie
der
Asterisk *,
stört
jedoch
deutlich
weniger
den Lesefluss
der
Leser·innen,
weil er
nicht
nach
Fußnoten
ruft
und
auch
keine
Textlücken
reißt
wie
der
Gender_Gap.
Im Hinblick
auf
Lesbarkeit
und
Typografiequalität
also
eine
bessere
Alternative,
und
inhaltlich
– als
Multiplikationszeichen
verstanden –
treffend.
Oder?«
Wir stellen
unseren
Autor·innen
jedoch
frei,
ob
sie
den
Mittelpunkt
oder
eine andere
Form
benutzen.
Alle personenbezogenen
Bezeichnungen
sind
jedenfalls
geschlechtsneutral
zu verstehen.
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den
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Kultur
und
Politik,
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