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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 31. Januar 2022

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute vor genau zwei Jahren erschien die erste Ausgabe von 8daw. Nach einer langen Annäherung haben wir ausgerechnet am Tag des Brexit-Vollzugs mit unseren Streifzügen durch den Wandel begonnen. Nun sind es – inklusive der am 31. Januar 2020 gestarteten, nicht-öffentlichen Alphaphase und der erweiternden Schritte während der Betaphase – schon 90 Newsletter, die (normalerweise) zum Wechsel von Woche zum Wochenende die Aufmerksamkeit auf kleine, fast beiläufige Fundstücke und Sichtweisen lenken, Information und Meinung anbieten, Licht- und Ausblicke ermöglichen: der Ausweglosigkeit ein Schnippchen schlagen. Ich hatte angekündigt, dass wir ein wenig grundsätzlicher zurück und auch nach vorne schauen wollen … und natürlich ist auch das wieder einmal an der Natur des 8daw-Flanierens gescheitert: Denn die Gegenbewegung zur Alternativlosigkeit bedingt eine Freiheit, die Das Denken zum Tanzen bringt, jenes der Autoren und hoffentlich auch der Abonnenten. Einmal mehr beschäftigen wir uns mehr mit Fragen denn mit Antworten.

»Wir befinden uns heute im Übergang vom Zeitalter der Dinge zum Zeitalter der Undinge. Nicht Dinge, sondern Informationen bestimmen unsere Lebenswelt. Wir bewohnen nicht mehr Erde und Himmel, sondern Google Earth und Cloud. Die Welt wird zusehends unfassbarer, wolkiger und gespenstischer. Nichts ist hand- und dingfest«, hat Byung-Chul Han in einem lesenswerten Interview mit dem Philosophie-Magazin erläutert: »Die Digitalisierung entdinglicht, entkörperlicht und letzten Endes entwirklicht sie die Welt. Sie schafft auch Erinnerungen ab. Statt Erinnerungen nachzugehen, häufen wir Daten und Informationen an.«

Mit dieser Entdinglichung muss sich gerade auch ein bisher ausschließlich digitaler Kanal wie 8daw beschäftigen – nach zwei Jahren Pandemie (erstmals haben wir uns in der fünften Ausgabe vom 28. Februar 2020 mit Covid-19 beschäftigt) ist die Sehnsucht nach neuer und umfassender Begegnung ins Unermessliche gestiegen. Dabei geht es nicht um das (Ab)feiern alter Muster, eher um das vorsichtige Ertasten neuer Formate. Damit wollen wir in diesem Jahr beginnen – 8daw wird physisch.

Hat jemand Lust, mit darüber nachzudenken? E-Mail an mich genügt …
Boris Kochan

 

Daniel Bolliger dokumentiert die Stille einer Stadt, die niemals schlafen will: New York! Seine 2012 entstandene Serie Nachtgestalten stellt in einer erstaunlichen Balance Fragen – zwischen mir und dem Anderen, zwischen einer schroffen, sehr urbanen Ruhe und einer großen, himmelschreienden Sehnsucht.


 

Fragen über Fragen (I)
 

Zwischen dem wutentbrannten Ausruf Fuck und der unmittelbar folgenden Konsultation der FAQ liegen oft nur wenige erzürnte Atemzüge. Mit dieser häufig auch noch als Service bezeichneten Rubrik schaffen sich Webseitenbetreiber selbst genauso wie den von ihnen erwarteten Dienst am Kunden ab … indem sie eine Litanei an potenziellen Wissenslücken samt Behelfskrücken zusammenstellen, sozusagen ein Selbstbedienungssanitätshandel. Immerhin weiß man dann, dass man mit einer der meistgestellten Frage zwar nicht alleine, peinlicherweise aber so kalkulierbar dumm ist (Fool Asking Questions), dass entschieden klügere Köpfe darauf schon vorbereitet waren. Daneben gibt es natürlich jene Fragen, die ein scharfer Denker bewusst unbeantwortet lassen sollte, weil sich bei der »redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme« durch weniger geistlich bzw. geistig Beseelte leicht Fehler einschleichen. Wobei auch Schweigen durchaus als beredte Erwiderung gilt und sprichwörtlich mit Gold aufgewogen zu den Kardinal(s)tugenden zählt.

Womit wir bei der Kardinalfrage wären, ob es überhaupt zur spezifischen Eigenheit der Frage gehört, eine Antwort zu fordern. Natürlich gibt es da die Kategorie der wissenschaftlichen Aufgabenstellungen, die dezidierte Analysen anstoßen, um mit fundierten, da teilweise lebensentscheidenden Ergebnissen aufzuwarten. Andererseits sind es oft gerade die existenziellen Fragen, die eine Antwort gar nicht erwarten, sondern selbstreferenzierend sind. Bei unglücklichen Menschen populär: Warum gerade ich? Niemand möchte das ernsthaft beantwortet haben. Ob wir uns aber nun in Selbstmitleid ergehen oder uns als Trostpflaster ein funkelnagelneues BMW 8er Coupé kaufen, das wiederum ist eine Frage des Geldes … [sib]


 

Fragen über Fragen (II)
 

Warum ist dies so und jenes anders? Warum fühlt sich alles so gleich an, obwohl es sich doch angeblich ständig verändert? Und was lässt sich der Realität noch abgewinnen, was noch nicht gesagt wurde? Wenigstens für die Beantwortung der letzten Frage weiß – wie so oft – Karl Valentin einen tröstlichen Rat: »Es ist schon alles gesagt, nur nicht von allen«, meinte er in seinem unendlich komischen Fatalismus, der so verdreht war und die Wirklichkeit völlig undurchdringlich, genau darin aber immer wieder neu erscheinen lässt.

Wer schreibt, setzt sich in weniger ungetrübten Stunden gerne mal solchen und ähnlichen Fragen aus. »Nehme ich mich zu ernst? Muss ich fortwährend die Wahrheit schreiben und was ist eigentlich der Schaum der Realität?« Peter Licht, Musiker und Autor, hat darauf eine interessante Antwort gefunden, als er eine Begegnung mit James Dean in einer Cappuccino-Tasse hatte. https://assets.eightdaw.com/bilder/2022/kw04/ev-illu.jpgEigentlich eine ziemlich unglaubwürdige Geschichte, aber in Zeiten von Fake News …? Die Frage, ob der Journalismus in einer Krise steckt, hat übrigens schon vor Trump die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union auf einer Tagung mit dem maliziösen Titel Shit & Candy zu beantworten versucht.

Danach gefragt, ob ein Newsletter denn nun mehr News oder mehr Letter sei, möchte man sich angesichts solcher Verlautbarungen aus Journalistenkreisen doch lieber auf die Seite des Letters schlagen. Schön zum Beispiel der Artikel von Petra Frerichs Über die Kunst des Briefeschreibens. Sie verlange »Empathie und auch eine Portion Hingabe«, so Frerichs – mithin eine Form höchst persönlicher Zugewandtheit. Aber bin ich überhaupt die Person, für die ich mich halte, und wie ist das eigentlich bei meinen Adressat·innen? Der Tagesspiegel behauptete in diesem Zusammenhang unter dem Titel Das Ich ist nur eine Illusion Fatales: Das Ich sei nur ein Trugbild, ähnlich einer optischen Täuschung. Das führt zwangsläufig zur nächsten, schwerwiegendsten und somit vorläufig letzten Frage: Hat das alles überhaupt einen Sinn? Sch**ß drauf – wir machen trotzdem weiter. [um]

 

Es ist dem Journalismus, wenn er sich denn Qualitätsjournalismus nennen darf, übrigens hoch anzurechnen, dass die profundesten Mahner- und Rufer·innen aus den eigenen Reihen kommen und sich dabei gerne auch mal hochkarätiger Unterstützung versichern. Der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Ayad Al-Ani zum Beispiel ist so jemand. In der ZEIT beschrieb er Zukunftsperspektiven für den Journalismus in Zeiten der Digitalisierung, die keineswegs nur herzerwärmend sind.


 

Feedback-Kultur (I)
 

https://assets.eightdaw.com/bilder/2022/kw04/illu-5.JPGDaumen hoch, Daumen runter, Smileys überall – sekundenschnell und in rauen Mengen wird heute Feedback verteilt. Erstaunlich, dass sich der Ruf nach (wertschätzender) Feedback-Kultur trotzdem hartnäckig hält, etwa in der Arbeitswelt. Da geht es um Augenhöhe. Um Orientierung, Vertrauen, Empathie, um Motivation, das Verklaren von Zielen, die Verbesserung von Beziehungen … Die Schauspieler in antiken griechischen Theatern erhalten ihr Feedback noch verhältnismäßig einfach und unmittelbar. Die Besucher fiebern bei Aufführungen mit, stampfen, jubeln, pfeifen. Der 1966 gerade mal 23 Jahre alte Peter Handke hingegen pfeift in Publikumsbeschimpfung auf jede Erwartung: Kein Schauspiel, sondern Sprechstück, kein Wunsch auf Dialog, keine Chance auf schmerzfreien Kulturkonsum. Die Eröffnung: »Sie werden kein Schauspiel sehen. Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden. Sie werden kein Spiel sehen. Hier wird nicht gespielt werden.« Wer auf der Bühne steht, braucht sich um Augenhöhe nicht zu sorgen.

Auf die Bühne verzichtet das dänisch-österreichische Performance-Kollektiv SIGNA, inszeniert in vormaligen Fabrikhallen, Schulen und verwandelt das Publikum zu Mitspielern. In Schwarze Augen, Maria richtet Signa etwa das Haus Lebensbaum ein, in dem seltsame Familien untergebracht sind. Das Publikum besucht diese Familien, sitzt mit Vätern auf fleckigen Sofas, trinkt Bier, betrachtet das Spielzeug der Kinder. https://assets.eightdaw.com/bilder/2022/kw04/illu-7.JPGKlaus Irrler schreibt in der taz: Die Performance »ist eine soziale Utopie, zu der sich die Zuschauer verhalten müssen«. Auf Feedback-Zettel kann verzichtet werden. [gw]


 

Feedback-Kultur (II)
 

https://assets.eightdaw.com/bilder/2022/kw04/illu-6.JPGIgnore this Sign! Seit Darius (aka Leon Reid) and Downey (aka Brad Downey) dieses legendär gewordene Paradoxon 2000 erstmals in den Straßen von New York als Straßenschild platzierten, hat sich eigentlich wenig geändert: Noch immer gilt die eigenartige Regel im beruflichen Alltag, nach der Feedback eine Forderung ist und kein Angebot. Wir erwarten (oder freundlich bestimmt: erbitten) Ihr Feedback bis xyz. Zur angeblichen Kultur erhoben, zerstört die ultimative Einforderung von Feedback Beziehungen.

Dabei gibt es natürlich nichts Schöneres als eine anerkennende Rückmeldung, als freiwilliges Lob und auch konstruktive Kritik. Eine Armada von Meinungsforschen erfüllt dieses Bedürfnis professionell – während gerade die Profis der Kommunikationsbranche sich eher schwertun, wenn es um sie selbst geht: Rufen Sie uns nicht an, wir rufen zurück! Dabei ist das Potenzial von Fragen mittlerweile weithin anerkannt, gerade dann, wenn sie die Welt öffnen. Und nicht, wie Willy Brandt 1972 in seinem legendären Interview mit Friedrich Nowottny wohlfeil demonstriert hat, ein schlichtes Ja oder Nein provozieren.

Immer wieder stehen die wunderbaren Fragen von Peter Fischli und David Weiss in Findet mich das Glück? Pate bei der Entwicklung von 8daw-Themen. Nicht, dass die folgenden mit jenen des genialen Künstlerduo mithalten könnten – aber welche würden Sie sich als Grundlage für einen 8daw-Streifzug wünschen? Hier geht es zum Feedback-Formular … [bk]

 

––– ? –––
Sollen Babys schon pränatal chinesisch lernen

––– ? –––
Scholz oder Schönberg – Baerbock oder Baselitz
––– ? –––

Ist das Leben eine Komödie
––– ? –––

Liegt in der Kürze die Würze oder das Schmalz im Salz …

––– ? –––
… oder sind Textmengen geschmacksneutral
––– ? –––

Vertreiben Honigorgien die Frühjahrsmattigkeit
––– ? –––

Wächst dort, wo nix ist, die Zukunft
––– ? –––

Passen Kulinarik und Ketzerei zusammen
––– ? –––

Woher weht der Wind (in den Häuserschluchten der Megacitys)
––– ? –––

Was lässt sich der Realität noch abgewinnen, was nicht schon gesagt wurde
––– ? –––


Das Fundstück der Woche

 
https://assets.eightdaw.com/bilder/2022/kw04/bild-1.jpg
 

Gerade in technisch-gestalterischen Kontexten sind Fragen natürlich äußerst wertvoll, Antworten bzw. Lösungen manchmal aber noch viel notwendiger: Wie oft haben wir schon vor der verdammten Kiste gesessen, und es ging genau das nicht, was wir jetzt brauchten. Obys ist ein Designstudio in der Ukraine, das neben seiner fraglos erfolgreichen Arbeit für Auftraggeber immer wieder auch Educational Content entwickelt. Wir kennen kaum eine Einführung in Grids, die uns mehr begeistert hat …


 
 

Sie erhalten diese E-Mail an unknown@noemail.com, weil Sie sich als 8daw-Empfänger angemeldet haben, in geschäft­lichem Kontakt mit der Kochan & Partner GmbH stehen oder an einer der Veranstal­tungen der Kooperations­partner teil­genommen haben. Fügen Sie bitte die E-Mail-Adresse boris.kochan@eightdaw.com Ihrem Adress­buch oder der Liste sicherer Absender hinzu. Dadurch stellen Sie sicher, dass unsere Mails Sie auch in Zukunft erreichen. Wenn Sie 8daw künftig nicht mehr erhalten wollen, können Sie unseren Newsletter abbestellen.

 
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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel]Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
Daniel Bolliger Studio 
Instagram: @danielbolliger
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