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ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

von Boris Kochan und Freunden am 7. Februar 2020

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kulturverträglichkeits­prüfung – dieses Wortungetüm begegnete mir vergangenen Dienstag zum ersten Mal. Es beschreibt ein Verfahren, um politische Entscheidungen hinsichtlich negativer Auswirkungen auf die Kultur zu untersuchen, und ist im Denken eng verwandt mit der vielleicht etwas bekannteren Idee der Umwelt­verträglichkeits­prüfung. Ich hätte da gleich noch eine ganze Reihe weiterer Ideen, was wir alles prüfen könnten … nach so aufregenden Tagen wie diesen: Sozial- oder Regierungs­verträglichkeit zum Beispiel. Unverträglich durch kaltschnäuzige Überheblichkeit und eklatanten Missbrauch ist ganz nebenbei in dieser Woche auch die politische Begrifflichkeit Bürgerliche Mitte geworden. Dabei ist es überhaupt sehr spannend zu beobachten, wer in der (partei)politischen Arena gerade wen wie mit Sprache aus- oder eingrenzt.

Die Journalistin und Netzaktivistin Kübra Gümüşay spricht in ihrem vor Kurzem erschienenen, lesenswerten Buch Sprache und Sein davon, dass wir »durch das extensive Labeling und Kategorisierenwollen« insbesondere von als fremd und anders empfundenen Gesellschaftsgruppen verhindern, dass diese »Menschen sein können: komplex sein können, sich in sich mal widersprechen können.« Ihr Vorschlag, als Gegenbewegung zu all dem Hass, der diesen Menschen nicht nur im Netz entgegenschlägt, ist so einfach wie überzeugend: Organized Love!

Sehr herzliche und zugewandte Grüße
Boris Kochan

Ein ausführliches Interview mit Kübra Gümüşay findet sich beim Deutschlandfunk und der Vortrag bei TEDxBerlin  ist wirklich sehenswert!


Geh scheißn, hearst!
 

Von allen Dialekten, die jemals in meinem Leben vorbeigeschaut haben, ist der für mich der schönste: das Wienerische, dieses Klangweiche, ein wenig Langgezogene. Umspült von solcher Liebens­würdigkeit, Verneigung, dem Duft üppiger Rosenbouquets, erscheinen die pfeffrigen Noten gröbster Unfreundlichkeit geradezu liebenswert. Die einen sprechen von hintergründigem Humor, von Charme, Schmeichelei – küss die Hand –, die anderen von Grant, Doppel­bödigkeit, Verkleidung, Morbidität – eine Art Mozartkugel mit Schlagstock. Nein, das Wienerische ist nicht nur Sprache, es ist Umgangsform, Lebensart, südliche Leichtigkeit – östliche Schwermut. 

Da gibt es einen Wiener Weltbürger, einen Wandlungskünstler, Liedsänger, Komponisten, Miterfinder des Circus Roncalli, Mitbegründer des österreichischen Senders Ö3, Spötter, Messerwerfer, Literaten, Zauberer, einen Gestalter von Gärten und gigantischen Shows. Einen, der nie aufgehört hat, die Frage nach Sinn und Schönheit zu stellen, einer, der von sich selbst sagt: »Ich habe versucht, mein Leben nicht zu schwänzen.« Dieser Tage betritt André Heller wieder Neuland. In der Berliner Staatsoper Unter den Linden inszeniert er den Rosenkavalier, eine Komödie für Musik, ein pralles Sittenbild des Wiener Rokoko am Ende der Belle Epoque. Weil sich die Sängerinnen und Sänger in die Feinheiten des Wiener Dialekts einfühlen mussten, begannen die Proben mit Leseproben. Premiere ist am 9. Februar 2020. Die musikalische Leitung liegt bei Zubin Mehta. [gw]

Im Wienerischen kann sogar die Sintflut gemütlich-fies daher kommen – auf Lyrikline gibt es nicht nur vom Wiener H.C. Artmann wunderbar gelesene Poesie.

 

1911, drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, geriet die Uraufführung des Rosenkavalier zum unglaublichen Erfolg. Die Reichsbahn setzte Sonderzüge ein, um die Fans in Scharen von Berlin

zur Semperoper nach Dresden zu bringen. Noch im Jahr der Uraufführung  fanden mehr als 40 Rosenkavalier-Premieren im In- und Ausland statt. Die Figuren der Handlung boomten als Faschingskostüme, sogar Zigaretten wurden unter dem Namen Rosenkavalier verkauft.

Merchandising um die Jahrhundertwende!


Vom Faustkeil zum Smartphone und zurück
 

Wer in Berlin Mitte zu tun hat, ist vielleicht schon mal am Museum  für Kommunikation vorbeigekommen. »Meilensteine der Kommunikationsgeschichte« soll es hier zu bestaunen geben, und das »vom Faustkeil bis zum Smartphone«. Eine bemerkenswerte Ahnenreihe, die sich da auftut, war mir doch bisher verborgen geblieben, dass der Faustkeil auch als Kommunikationsmittel gilt. Aber vielleicht ist das ja nur Interpretationssache. Zumindest wirft es ein Licht auf die wunderbaren Ambivalenzen der Sprache und die Untiefen, die dort lauern. Und die galt es bei dem eigentlichen Zweck meiner Mission tunlichst zu umschiffen. Der Deutsche Kulturrat hatte zu einer Sitzung geladen. Vertreter aus Politik, Gewerkschaften, Kunst, Literatur, Wissenschaft und Musik würden versuchen, eine Stellungnahme zur Digitalpolitik auf den Weg zu bringen. Missverständnisse schienen vorprogrammiert, Grabenkriege drohten und womöglich würden sich am Ende alle mit ihren Smartphones bewaffnet aufeinander stürzen. Doch stattdessen wurde zugehört. Es wurde konzentriert und zugewandt gesprochen, Differenzen wurden ausgeräumt, ein wichtiges Papier auf den Weg gebracht. Demokratie ist die Kunst des Kompromisses, heißt es. Hier wurde das erfolgreich praktiziert. Vielleicht auch im Bemühen, der Bestürzung über die Eilmeldung produktiven Ausdruck zu verleihen, die zu Beginn der Sitzung eintraf: Durch einen perfiden Schachzug hatte die AfD es geschafft, in Thüringen einen FDP-Mann als Ministerpräsident  zu installieren. Der Wandel der politischen Kultur – jetzt war er endgültig eingetreten und das gewissermaßen mit Smartphone und Faustkeil. Ich sollte doch mal ins Museum für Kommunikation gehen. [um]


62 neue plus 55 Geschlechts- und Hauttonvarianten
 

Diese Woche hat das Unicode-Konsortium die 13. Erweiterung des Emoji-Sets vorgestellt: 117 neue Emojis werden via Update in diesem Jahr auf unseren Smartphones landen. Juhuuu!!! Die größte Neuerung liegt wohl im Aufbrechen überholter Rollenmuster. So steckt unterm Brautschleier jetzt auch ein bärtiger Mensch. Und Babys erhalten die Flasche nicht mehr nur von Frauen. Der Bundesverband Trans* begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich. Daneben können wir nun etwa mit knubbeligen Robben, Zahnbürsten oder Käsefondue-Töpfen unsere Kommunikation emoijisieren. Insgesamt stehen uns ab der zweiten Jahreshälfte 1.809 Emojis zur Verfügung. Reicht das dann? Alle, denen die Flut an süßen Plastik-Bildchen langsam zu bunt wird, seien an ein Set von 26 Zeichen erinnert, das auch ganz prima funktioniert (sogar bei etwas komplexeren Inhalten): unser Alphabet. [gw]

»Smiling Face with Heart-Eyes« – wer die Bedeutung eines Emojis ganz genau wissen möchte oder die unterschiedlichen Ausprägungen bei Google, WhatsApp oder auch Docomo vergleichen möchte, wird beim Emoji-Wiki fündig. 

Johannes Bergerhausen und Siri Poarangan beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Projekt decodeunicode, einer unabhängigen Online-Plattform, für typografische Grundlagenforschung, die dem Computer-Nutzer einen inhaltlichen Zugang zu den Zeichen dieser Welt zu ermöglichen. Das dazugehörige Buch decodeunicode: Die Schriftzeichen der Welt ist eine typografische Welt- und Zeitreise: Die Schriftsysteme der Menschheit werden auf 656 Seiten vorgestellt.

 

Alle neuen 117 Emojis im 2:42-minütigen Clip.


Kalender
Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion
 
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7. bis 15. März 2020

MCBW – Munich Creative Business Week


Die lange Woche des Designs widmet sich in diesem Jahr dem Schwerpunktthema »Sustain by Design«. Engagierte Programmpartner schaffen eine einzig-artige Plattform für designaffine Unternehmen, Gestalter und Design-agenturen aller Disziplinen und sprechen auch alle an Design Interessierten an.  weitere Infos

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14. März 2020, 10 bis 18 Uhr

TypeTech Workshop


Vitaly Friedman, der umtriebige Frontend-/UX-Berater und Creative Lead des Smashing Magazins, hinterfragt in seinem Tages-Workshop zu »Smart Responsive Interface Design Patterns« die heute vielfach genutzten Wege und Techniken für die Gestaltung von Benutzeroberflächen kritisch ... und stellt ganz andere, hochinnovative Lösungen vor. weitere Infos und Anmeldung


Das Fundstück der Woche

 

SPRACHE UND SAFT BEI TRUE FRUITS – wer die Flaschen kauft, erwirbt besonders werthaltigen Text: Für 45 Euro wird Netter Po gerade auf Ebay angeboten. Ein Produkt spielt Merchandising mit sich selbst und wandelt sich so zum Sammlerstück ...


 
 

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Ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir in unseren Beiträgen auf die geschlechts­spezifische Schreib­weise. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind daher geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aussendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt – als Kooperations­partner sind zum Beispiel die GRANSHAN Foundation e.V., die EDCH Foundation e.V., der Deutsche Designtag e.V. und die Typographische Gesellschaft München e.V. im Gespräch.

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, boriskochan.com, zu erreichen unter bk@8daw.net oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook), in Verbindung mit Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sha], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Übersetzungen: Rachel McLaughlin [rml]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bildredaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach

Bildnachweis: Rosenkavalier: Plakat von Joseph Binder, Emojis: Collage von Pavlo Kochan;

»Netter Po«: Fotografie von Gabriele Werner, Flasche von True Fruits


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