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8daw
ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel
mit Boris Kochan und Freunden­ am 21. Februar 2020
 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

als wir uns zum Beginn dieser Woche in der kleinen 8daw-Redaktion trafen, brachte Gabriele Werner einen Artikel über einen bewusst fehler­haft programmierten Pflegeroboter mit. Was haben wir gelacht und uns darauf gefreut, in Vorbereitung auf das lange Karnevals­wochenende Fehler als Wandel-Förderer zu feiern und das Scheitern genussvoll zu zelebrieren. Diese Freude ist uns vergangen (auch wenn wir unseren Lesern die eine oder andere fröhliche Erkenntnis nicht vorenthalten wollen). Nach dem Anschlag in Hanau sprach Angela Merkel sichtlich ergriffen vom Gift, welches in unserer Gesellschaft existiert: Rassismus und Hass.

In einer Woche, in der ein möglicher CDU-Vorsitzender Friedrich Merz mal so nebenbei darüber schwadroniert, dass es für Politiker – dank Twitter und Co. –  Journalisten zur Deutungshoheit nicht mehr brauche, ging es gestern Abend in einer sehenswerten Maybrit-Illner-Runde auch und insbesondere um Sprache. »Hass ist nicht da, Gewalt ist nicht einfach da«, sagt zum Beispiel die Bundes­tags­vize­präsidentin Petra Roth, und die bereits in 8daw vorgestellte Autorin Kübra Gümüşay spricht von der unguten Ausrichtung der Algorithmen sozialer Medien, die polarisierende Überschriften und Inhalte mit Reichweite belohnen – ein Verfahren, welches leider vielfach auch auf Talkrunden übertragen wird. Dies war gestern erfreulicherweise nicht der Fall, zitiert wurde auch der nach Hanau gereiste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich »gegen eine Sprache der Ausgrenzung und Herabwürdigung« wendet, »die doch der Gewalt allzu häufig den Weg bereitet«. Für solche Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zahle ich doch gerne 86 Cent mehr pro Monat, die gerade von der KEF, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, empfohlen werden.

Ich wünsche ein nachdenkliches Wochenende –
trotz des närrischen Treibens!
Boris Kochan

Der Extremismus-Forscher Matthias Quent fordert in der Sendung eine größere Sensibilität und Genauigkeit in der Berichterstattung: »Nicht verwirrter Einzeltäter, sondern allein handelnder Attentäter« und »Rassismus wird gesellschaftlich gemacht, niemand wird als Rassist geboren«. Absolut lesenswert ist auch sein Buch Deutschland rechts außen – Wie die Rechten die Macht ergreifen und wie wir sie stoppen können.


Grenzen des Scheiterns
 

Jeder Mensch ein Designer? Ginge es nach dem Designtheoretiker Victor Papanek, dann ganz ohne Zweifel. Die kühnen Thesen, die er 1971 in seinem Buch Design for the Real World aufgestellt hat, treiben auch heute noch manchem Profi-Gestalter den Blutdruck in die Höhe. Dabei hat Papanek nie behauptet, dass auch alles gutes Design sei, was der Laie so fabriziert. Ist es auch nicht. Und auch, wenn uns dieser Tage der Sinn überhaupt nicht nach Fasching steht, gilt doch, dass ausgerechnet die Faschingszeit reichlich Anschauungsmaterial für die fehlgeleiteten Ambitionen von DIY-Gestaltern bietet. Der menschliche Gestaltungswille hat auch seine wunderbar-wunderlichen Seiten! Selbst noch in dunkelster Stunde.

Papaneks Anliegen war jedoch keineswegs, die Grenzen zwischen Laien- und Profi-Gestaltern aufzulösen, sondern darauf hinzuweisen, dass das Gestalten dem Menschen einbeschrieben ist. Zivilisation ohne Gestaltung ist nicht denkbar. Und gerade dort, wo sich Abgründe auftun, gerät sie von der Kür zur Pflicht. Denn Letztere fordern umso mehr die Bereitschaft ein, gegebenenfalls auch gestalterische Verantwortung für unsere Demokratie zu übernehmen. Und genau darum ging es im Kern auch Papanek. Präzise: Um die Verantwortung des Gestalters gegenüber der Gesellschaft. Wie sehr wir da alle gefragt sind, haben mit unerbittlicher und durch nichts relativierbarer Konsequenz die Ereignisse in Hanau gezeigt. Jetzt sind die am Zug, denen ein freiheitlich demokratisches Zusammenleben aller Menschen etwas bedeutet. Wir sind mehr. [uw]

Victor Papaneks mahnender Ruf blieb nicht unerhört. Gerade in jüngerer Zeit fordern immer mehr Designtheoretiker und Designer unter Berufung auf Papanek ein größeres Maß an Verantwortungsbewusstsein von ihrer Zunft ein. Einer ihrer Profiliertesten ist der Architekt und Designtheoretiker Friedrich von Borries, dessen Buch Weltentwerfen bei seinem Erscheinen 2016 für Aufsehen und Kontroversen gesorgt hat.

 

Angela Merkel gestern vor der Presse zu den Morden in Hanau: »Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift. Und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft. Und es ist Schuld an schon viel zu vielen Verbrechen. Von den Untaten des NSU über den Mord an Walter Lübcke bis zu den Morden von Halle.«


Das Hohelied des Scheiterns

 

»Upsi«, lässt taz-Autor Volker Surmann den Pflegeroboter blechern rufen. Dieser hat die Kurve zu Zimmer 18 ein wenig knapp genommen. Nun saugt er mit seinem Zeigefinger den abgebröckelten Putz von Frau Börings Abendbrot. »Schlurp«, ist auch die Scheibe Cervelatwurst eingesaugt. Und Frau Böhring? Die lacht über das kleine Missgeschick ihres elektronischen Helfers ...

KI macht keine Fehler. Aber Robbi 5 unterlaufen sie permanent. Ach was, unterlaufen, sie sind verlässlicher Teil seiner Programmierung. Fehler machen aus dem nützlichen Pflegeroboter einen super sympathischen. Im Fehler stecken große Potenziale, die Kraft zur Veränderung beispielsweise: von technisch nach menschlich, vom gewohnten Weg zum Unbekannten, Neuen, zum Abenteuer. Kolumbus war auf dem Seeweg nach Indien und entdeckte Amerika. Johann Friedrich Böttger wollte das Geheimnis der Herstellung von Gold lüften. Doch beim jahrelangen Scheitern entdeckte er die Formel zur Herstellung von Porzellan. Und Thomas Alva Edison erforschte Tausende von Möglichkeiten, wie eine Glühbirne nicht funktioniert.

Wer Fehler in sein Leben einlädt, entdeckt ungewohnte Perspektiven, wird sich über neue Erkenntnisse freuen und ist vor Monotonie und Rechthaberei geschützt. Also dann: »Upsi!« Der ganze taz-Artikel ist übrigens auf der Seite Die Wahrheit zu lesen. »Die Wahrheit ist drei Grundsätzen verpflichtet:

1. Warum sachlich, wenn es persönlich geht.

2. Warum recherchieren, wenn man schreiben kann.

3. Warum beweisen, wenn man behaupten kann.« [gw]

Künstliche Intelligenz (KI) kann »zwar ziemlich gut Stereotypen erkennen«, wenn »das Motiv aber von der Norm abweicht und nicht mehr in den Kontext passt, dann wird es knifflig«. Dies haben die Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in umfangreichen Tests herausgefunden, und dokumentieren damit einmal mehr, dass KI nicht intelligent im Sinne menschlicher Intelligenz ist. Sondern die Nutzung intelligent kombinierter Algorithmen, welches bei Robotern wie Robbi 5 und selbstlernenden Systemen immer noch erstaunliche Potentiale bietet. Der Alltag der KI-Entwickler ist aber hart, nicht nur wegen der vielerorten, – so auch beim Deutschen Designtag und dem Deutschen Kulturrat – beabsichtigter Formulierung oder bereits veröffentlichter ethischer Rahmenbedingungen. So scheitern gerade auch in Behörden Projekte neben Fehlern der technischen Systeme auch an der Gefahr der Diskriminierung.

 

Zum Scheitern verurteilt: aber lecker! Der Ofenschlupfer, Arme Ritter oder Scheiterhaufen ist in seinen unterschiedlichen regionalen und historischen Ausprägungen ein sehr nachhaltiges Gericht: eine opulente Mehlspeise zur Integration von unterschiedlichstem, überreifem Obst. Pavlo Kochan hat dieses Rezept als Grundlage benutzt – allerdings wollte trockenes Baguette und supersüße Birne mit hinein.  


Nur einmal im Leben Thesaurus sein …
 

Ein spennadnes Expeirmnet, Txet mit vertusachten Behcstuban. Wir verstehen ihn trotzdem – dank der Autokorrektur unserer grauen Zellen. Der Unterschied zur Autokorrektur am PC ist: Unser Gehirn versucht das Unpassende mit allem gebotenen Ernst geradezurücken. Software dagegen hat Humor. Welcher Mensch würde schon bei der Verabredung zum Geschäftsessen à la »Treffen wir uns halbacht« bloß wegen eines verschluckten Leerzeichens sexuelle Avancen wagen: »Treffen wir uns halbnackt.« Der Outlook-Thesaurus schiebt dem Gegenüber da schon mal ganz vertraulich die Hand unter den Rock – oder bringt’s auf den Punkt und grüßt den eloquenten Hubert Schwetzer mit: »Lieber Herr Schwätzer«. 

Wohl dem, der seine Texte Korrektur liest! Die Neue Züricher Zeitung lässt das in Banja Luka machen. Nein, kein Tippfehler. Nicht: von Banja Luka, der neuen Korrektorin, sondern inBanja Luka ist ein Ort in Bosnien. Angeblich steuern sich die Damen dort selbst durch das Schweizer Fastnachts­vokabular von »gfürchig« bis »Häxä« souverän. Und Hand aufs Herz, wer schulpflichtige Kinder hat: Beschleicht einem nicht manchmal das Gefühl, dass jeder Franzose, der Deutsch als Fremdsprache lernt, die Rechtschreibung besser beherrscht als der hiesige Grundschüler? Schließlich paukt der Fremdsprachler nach Wörterbuch, während unsere Kids sich ihre Muttersprache durch »Schreiben nach Gehör« noch unlängst selbst aneignen durften. Ging ab und zu schihf, machte aba vihl mer spahs. Ist doch richtig geil. Ähm, sorry: Ist doch richtig, gell? [sib]

Wie das Lesen von Büchern unser Gehirn beeinflusst, schildert die Kognitionswissenschaftlerin Maryanne Wolf in einem kurzweiligen Interview.

Eine Scheiter-Kumulation mit ernstem Hintergrund zeigt das Museum des Scheiterns im schwedischen Helsingborg. Kurator Samuel West sammelt misslungene Erfindungen aus aller Welt: »Es ist mir ein Anliegen, dass wir überdenken, wie wir gesellschaftlich mit dem Thema Scheitern umgehen. Wir verherrlichen Erfolge und verteufeln Misserfolge. Das ist falsch, denn aus dem Scheitern lernt man viel mehr als aus Erfolgen. Diese Haltung zum Thema macht die Menschen risikoscheu. Das ist problematisch, denn als Gesellschaft müssen wir Probleme lösen - und das setzt ein gewisses Risiko voraus.«

 

Nicht so Perfektem und Gescheiterten verspricht der berühmte englische Theatermacher Tim Etchells Trost. In seinem Institute of Failure – was frei übersetzt soviel wie Institut für Scheiterprojekte bedeutet – wird gefragt, was Scheitern eigentlich ist und welchen Nutzen man daraus ziehen kann. Das macht Mut und hat auch schon Nachahmer gefunden. Zum Beispiel das Failure Institute in Mexico City. Scheitern ist ganz groß im Kommen.


Kalender
Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion
 

bis 6. April

Bundespreis Ecodesign


Ganzheitlich, ökologisch gestaltete Produkte stehen im Fokus der höchsten Auszeichnung der Bundesregierung für nachhaltige Gestaltung: Es zählt der Lebenszyklus des Produkts von der Herstellung bis zur Entsorgung. Das Internationale Design Zentrum Berlin führt diesen unterstützenswerten Wettbewerb im Auftrag des Bundesumweltministeriums durch.

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bis 10. April, Early Bird bis 6. März

Corporate Design Preis


Der Schwesterpreis der Berliner Type, veranstaltet von Odo-Ekke Bingel mit seinen Awards Unlimited, sucht seit 2006 jährlich nach herausragenden Corporate-Design-Preis. Bewertet wird insbesondere die Verbindung zwischen visueller Qualität und Markenkonformität. Nur noch bis zum 6. März 2020 sind Einreichungen für eine wirklich faire Gebühr von 280 € zuzüglich MwSt. möglich.


Das Fundstück der Woche

 

Das Fundstück wurde in dieser Woche nicht gefunden, sondern gemacht: Unsere Zeichnerin Martina Wember zu den babylonischen Sprachverwirrungen in Zeiten von Autokorrektur und Social Media ...


 
 

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Ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir in unseren Beiträgen auf die geschlechts­spezifische Schreib­weise. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind daher geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aussendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt – als Kooperations­partner sind zum Beispiel die GRANSHAN Foundation e.V., die EDCH Foundation e.V., der Deutsche Designtag e.V. und die Typographische Gesellschaft München e.V. im Gespräch.

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, boriskochan.com, zu erreichen unter bk@8daw.net oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sha], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Übersetzungen: Rachel McLaughlin [rml]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bildredaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach

Bildnachweis: ©Pavlo Kochan


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