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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 8. Mai 2020

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

noch »ein letztes Glas im Stehen«: Ab heute dürfen sich wieder zwei Haushalte treffen. Im unübersichtlichen, föderalistischen Fleckerlteppich sind zumindest in Bayern vergnügliche Abende unter Freunden erneut erlaubt ... und lange Abschiede auf der Schwelle, das letzte Verweilen zwischen Tür und Angel, dieses Reinhard Mey'sche »was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette«.

Ausgerechnet jetzt, an der Schwelle zum dringend ersehnten Hochfahren von Wirtschaft und öffentlichem Leben, feiert Deutschland den 8. Mai – dieses von Richard Weizsäcker in seiner historischen Rede Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft dankenswerte Weise zum Tag der Befreiung gemachte Datum. Die Erinnerung an diese Stunde Null relativiert auf gesunde Weise unsere Erfahrungen der letzten sieben Wochen. Der Rückblick hilft vielleicht dabei,  unsere Empfindungen einzuordnen, den Mut zu fassen, in dieser Krise eine echte Chance zu sehen, aus dem Zwischenreich, aus dem Wandel Kraft zu schöpfen.

Mit dazu beitragen kann sicherlich auch eine am kommenden Montag in Berlin – tatsächlich physisch – eröffnende Ausstellung des Deutschen Historischen Museum, wie sie passender kaum sein kann: Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert. Mit ihrem »Niemand hat das Recht zu gehorchen« fordert die Denkerin des Nicht-Harmonischen uns, die Bürger, auf, Verantwortung für das Allgemeinwesen zu übernehmen. Und dazu gehört, auch in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung, dass Politik im Streit und im Konflikt entsteht.

Also: Wir werden sie fröhlich nutzen, die jetzt wieder möglichen langen Abende – für ein Denken mit großer Lust, ganz im Sinne von Hannah Arendt, ein »Denken ohne Geländer«!

Herzlich
Boris Kochan

 

Die gemeinnützige Landesgesellschaft zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft Kulturprojekte Berlin hat in Zusammenarbeit mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Deutsch-Russischen Museum eine eindrucksvolle Internet-Ausstellung zum 8. Mai veröffentlicht.

 

Mit dieser Ausgabe von 8daw beginnen wir eine neue Serie: Das Kleine Lexikon. In diesem wird sich Herbert Lechner mit dem Wandel der Moden und des Designs anhand von ausgewählten Objekten, Ritualen und mehr beschäftigen. Und so eine kleine, fortlaufende Enzyklopädie schaffen zu unseren wöchentlichen Streifzügen durch den Wandel.


Pressefreiheit und Infodemie

 

Democracy dies in darkness – ein hehrer Slogan, mit dem sich die Washington Post schmückt. Getrübt wird seine Strahlkraft allerdings durch den Umstand, dass der Eigner der Post und Amazon-Boss Jeff Bezos gerade ausgerechnet wegen Datenspionage durch Amazon-Mitarbeiter vor den amerikanischen Justizausschuss geladen wurde. Ein Imageschaden, der auch auf die ehrwürdige Post abfärbt. Die neue Abhängigkeit von branchenfremden Investoren, genau wie die Medienkonzentration und die Erosion traditioneller Geschäftsmodelle gefährden aber auch die Freiheit der Presse zunehmend. Darauf verwies anlässlich des internationalen Tags der Pressefreiheit auch der Künstler Ólafur Elíasson mit seiner Weltlupe. Die Unterminierung der Pressefreiheit hat indes viele Gesichter. In Deutschland etwa hat sich die Zahl der Übergriffe auf Journalisten erhöht, flankiert von Machenschaften der AfD, in denen alte Gespenster ihr Unwesen treiben. Ein mäßiger 13. Platz im weltweiten Pressefreiheitsranking ist die konsequente Quittung.

Die Corona-Berichterstattung hat nun eine neue Spielart der Einschränkung journalistischen Entfaltungsspielraums zutage gefördert: die infodemische Lähmung. Wie wurde sich da mit Eilmeldungen, Ratschlägen und Stellungnahmen überboten, Expertenmeinungen, Politik und Wirtschaft gegeneinander ausgespielt, bis alles sich mit allem so vermischt hatte, dass nur ein unerfreulich lähmendes Grau übrig blieb, von dem zuletzt auch die Presse selbst befallen schien.

Jetzt aber scheint sie sich zu schütteln und zeigt zumindest in Teilen, was Qualitätsjournalismus eben auch ausmacht – selbstkritische Distanz. Allen voran die ZEIT ONLINE. Unter dem Titel Angesteckt ließ man nicht nur die Corona-Berichterstattung kritisch Revue passieren, sondern veröffentlichte auch ein Experiment des Designers Christian Laesser, der über Wochen hinweg den Befall der ZEIT vom Coronavirus visualisiert hat. Eine infodemische Grafik von beeindruckender Stringenz. [um]

 

Auch der SPIEGEL hat sich unlängst wieder einmal der medienpolitischen Aktivitäten der AfD angenommen, die in höchstem Maße beunruhigend sind.

 
 

Befremdliche Schönheit ohne Ornament: Wann und wie sich DIE ZEIT mit dem Coronavirus angesteckt hat können Sie in der visuellen Exploration von Christian Laesser nachverfolgen.


Nicht Fisch, nicht Fleisch
oder: ein Raum voller Möglichkeiten
 

Da und doch nicht da: Das Dazwischen ist ein unwirtlicher, eigentlich unmöglicher Ort. Darin wohnt weder die eine noch die andere Bestimmung – weder der eine noch der andere Umstand. Wollte man ein Dazwischen beschreiben, könnte das Davor oder Danach einen Beitrag leisten, einen räumlichen oder zeitlichen Rahmen stecken, darin ein form- und wesenloses Dazwischen vermutet wird.

 
 
Ein nicht besetzter, nicht gedeuteter Raum, ein Noch-Nicht und Nicht-Mehr-Raum. Ein Freiraum! Kein Zaudern mehr, endlich. Vor uns liegt ein Raum voller Möglichkeiten. Ab nächster Woche springen wir hinein, neugierig, aufmerksam, tatenfroh. Im Whitepaper Die Wirtschaft nach Corona des Zukunftsinstitut liest es sich so: »Die Fortschreibung der Vergangenheit ist nicht unsere Zukunft.« [gw]
 

Das Lebenselixier aller Zukunftsforscher ist der von Albert Einstein geprägte Satz »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« Auch das Zukunftsinstitut von Matthias Horx nimmt gerne Anleihen an dieser Haltung – wie hier unschwer zu erkennen. Die Studien sind dennoch lesenswert – und teuer! Hilfreich sind jedoch häufig kurze Zusammenfassungen auf ihrer Webseite, die natürlich Lust auf mehr machen (sollen).

 
 

Christa Wolf und ihr Ehemann Gerhard reisen 1968 an Bord der »N. W. Gogol« auf der Wolga. Die Aufnahme zeigt viel Dazwischen: Der Raum vom Bein zur Rehling, von den Sonnenbrillen zum Wasser – in den Abstand zwischen Frau und Mann zwängt sich ein Beistelltisch. Zehn Russlandreisen hat Christa Wolf zwischen 1957 und 1989 unternommen. Bei einer Wolgafahrt begegnet sie erstmals Max Frisch und notiert »… Viel getrunken an dem Abend, am nächsten Morgen ist mir sehr schlecht. Frisch fragt: ›Grüßen wir uns eigentlich noch?‹«


Muttertags-Korona 
Endlich (kon)taktlos
 

Blümchen hier, Küsschen da – und Tränen der Rührung über speckige Kinderärmchen, die sich liebevoll um den Hals schlingen, und viel öfter noch des Zorns über die provokante Ignoranz bockiger Pubertiere: Muttertag. Wer sich mit der Historie auseinandersetzt, merkt schnell, dass zumindest der Ärger über Muttertagsverleugner ein beschämendes Luxusproblem ist: Der Gedenktag geht nämlich zurück auf zwei Frauen, die Müttern im 19. Jahrhundert eine politische Stimme geben wollten. Auf Ann Maria Reeves Jarvis, die mit den Mothers Friendships Day Meetings Müttern ein Austauschforum zu aktuellen Fragen bot. Und Julia Ward Howe, die sich mit einer Mütter-Friedenstag-Initiative dafür einsetzen wollte, dass Söhne nicht zu Kanonenfutter werden …

Die Geschichte lehrt, dass die Pazifistin nicht sehr erfolgreich war. Da hat es der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber schon besser gemacht, als er 1922 den Muttertag in Deutschland etablierte und seither alles, was von einer Frau geboren wurde, am Gängelband erzwungener Liebesbezeugung führt. Doch bevor der Muttertag 2020 graute, erschien Corona wie eine Korona am Horizont, ein schmaler Strahlenkranz und Hoffnungsschimmer, dass wir diesmal wirklich nicht vorbeischauen können – »leider, leider, liebe Mama, Social Distancing, nur aus Sorge um Dich, damit Du noch ganz lange lebst …« Dieser Ausrede hat nun gestern zumindest in Bayern Markus Söder mit einer speziellen Lex Muttertag – »ein emotional sehr wichtiger Termin« – einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und so auch der werblichen Idee des Blumenladens um die Ecke mit seiner »Geschenkidee zum Muttertag – kontaktlos …«. [sib]

 

Das kontaktlose Muttertagsgeschenk hat ein bisschen was von der Umkehr aller Werte, wie sie Bert Brecht in seiner im schwedischen Exil verfassten und zeitlos gültigen Mutter Courage und ihre Kinder thematisiert. Mit einer Hauptfigur, die zwischen allen Rollen steht: die Mutter, die im Krieg ihre Kinder schützen will, und die Geschäftsfrau, die aus dem Krieg ihren Gewinn zieht. Die ruiniert ist, als der »Frieden ausbricht«. Die den Mut im Namen trägt, aber alles andere als eine Heldin ist. Muttertagsgerecht die Version für Kinder und für zwischen Tür und Angel – Weltliteratur to go: »Krieg ist nichts für Feiglinge. Kapitalismus auch nicht. Kein Wunder also, dass das heldenhafte Muttertier, das sich bei Bert Brecht durch den Dreißigjährigen Krieg schleppt, den Namen Mutter Courage trägt.«


 
 
 

Kleines Lexikon: Wandel der Moden und des Designs

 

Die Glühbirne

Sie glüht noch immer, jene Birne in der Feuerwache von Livermore, Kalifornien. Vielleicht nicht sehr hell, aber treulich seit 1901. Die Glühbirne hat die Moderne stärker beeinflusst als viele spektakuläre Neuerungen. Sie schmutzt nicht wie Talg, tropft nicht wie Wachs, stinkt nicht wie Petroleum, ist nicht gefährlich wie Gas – ein Saubermann und Ideal der neuen Zeit. Mit ihr wurde die Nacht endgültig zum Tage, sie beleuchtete Fabriken und Sportarenen, einsame Dichterstuben und angesagte Bars. Kurz: Sie wärmte Herzen und Häuser. Durchaus im doppelten Sinn, was ihr den Garaus machen sollte. Denn penible Beamte berechneten ihre blamable Energieausbeute und verboten sie fortan. Doch ungeahnter Widerstand flammte auf. Es gab Hamsterkäufe und »Bückware«, Licht-Papst Ingo Maurer kreierte gar eine getarnte Glühbirne. Heute leuchtet ihr Licht zwar mit neuer Technik, doch in der vertrauten Birnenform. [hel]

 

Kalender
Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion
 

bis 15. Mai 2020

UX Design Awards 2020


Die fortgesetzte Durchführung von Wettbewerben in der Krise ist in der Designwirtschaft umstritten. Der UX Design Award des Internationalen Design Zentrums (IDZ) könnte aber vielleicht mit dazu beitragen, konzeptionelle und gestalterische Ansätze ausfindig zu machen, die kreativ auf die Krise reagieren. Und genau diese zu prämieren …

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seit 24. April 2020

Check-in Kultur- und Kreativwirtschaft #5


Das Kompetenzzentrum der Kultur- und Kreativwirtschaft führt im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums unter anderem freitägliche Video-Diskussionen zu den Folgen der Coronakrise durch. Bei #5 durfte Boris Kochan den Standpunkt des Deutschen Designtags vertreten ...

 

Das Fundstück der Woche

 
 

Der Virus macht auch vor Gotteshäusern keinen Halt – ob wir mit solchen Bildern zukünftig auch in Deutschland rechnen müssen? Oder bleiben sie befremdliche Eindrücke aus Asien, wo gleich ganze Straßenzüge desinfiziert werden? Das Fundstück der Woche stammt aus Beirut, wo sich die Mitglieder der 1.600 Jahre alten, christlichen syrisch-maronitischen Kirche schwer damit tun, ihre Oblaten mit der Hand überreicht zu bekommen.


 
 

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Ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir in unseren Beiträgen auf die geschlechts­spezifische Schreib­weise. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind daher geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt – als Kooperations­partner sind zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag, der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikationsdesigner und die Typographische Gesellschaft München e.V. im Gespräch.

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, boriskochan.com, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
in Verbindung mit
Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sha], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Übersetzungen: Rachel McLaughlin [rml]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
Weltlupe: Olafur Eliasson
Die ZEIT und das Corona Virus: Christian Laesser
Christa Wolf und Ehemann Gerhard: Litereraturarchiv Akademie der Künste
Kontaktlos & Vielseitig: Kiefl
Sanitize Madonna: Getty Images


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