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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 17. Juli 2020

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

pro Minute investiert der Onlinehändler Amazon 21.000 Dollar in Werbung, zusammengerechnet waren das im vergangenen Jahr elf Milliarden. Ein Drittel weniger Büroraum wird die Allianz AG auf Dauer benötigen, prognostizierte deren Chef Oliver Bäte im Interview mit Reuters – und die Mitarbeiter werden nur noch halb so viel unterwegs sein wie vor der CoronaKrise: »Wir brauchen die ganzen Reisen nicht mehr.« Auch Siemens will seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter künftig nur noch an zwei bis drei Tagen pro Woche ins Büro oder Werk kommen lassen … weltweit vom Vorstand als Standard definiert. Beeindruckend – und schwer vorstellbar bei einem Konzern, dessen sich gegenseitig belauernden Hierarchien bisher dazu beigetragen haben, dass zu Besprechungen von sehr überschaubarer Bedeutung gerne mal sechs oder gar acht Personen kamen.

Der grundsätzliche Wandel von stationärem zum Onlinehandel war natürlich schon vor der Pandemie mehr als deutlich, genauso wie das infrage stehende Geschäftsmodell der Fluggesellschaften und der Trend zum Homeoffice (warum eigentlich wird das gern auch mobiles Büro genannt?). Könnte es umgekehrt vielleicht sein, dass gerade die aktuell leidende Touristikbranche ganz unerwartet große Chancen bekommt? Trotz Klimakrise? Was ist, wenn all den vielen, gar nicht so mobilen Homeofficern die Decke auf den Kopf fällt? Überall gibt es schon jetzt den Drang nach draußen, die Gastronomie erobert sich gemeinsam mit ihren Gästen die Bürgersteige und Parkbuchten, ob der wohl noch lange geschlossenen Clubs suchen junge Menschen nach Party- und Tanz-Alternativen auf Plätzen und an Flussufern. Es gibt eine große Sehnsucht nach Abwechslung. Zum Energietanken braucht es Raum – und das Unerwartete, Unbekannte. Welch große Möglichkeit für die Fernweh-Industrie, wenn sie es schaffen würde, sich vom billigen Warmwasser-Tourismus zu lösen und nachhaltige, also wirklich sozialverträgliche und ökologische Reisen anzubieten. Plötzlich würden die Pausen vom Alltag ein Nach-Corona-Wiederaufbau-Projekt – und ein großes Glück für Reisende und Bereiste.

Wie wäre es mit einer kleinen Auszeit an diesem Wochenende – falls Sie nicht sowieso schon ganz woanders sind ...
Boris Kochan


Leer ist nicht gleich leer

 

»Zack!: Rein ins Hotel – giga Fernseher, zillionen Programme, super! Dann, Wusch!: Am Strand chillen, ein paar Sangria in der Birne. Danach, Bäm!: Super People, geile Mucke. N’bissel laut vielleicht. Macht aber nix. Kann eh nicht verstehen, was Du durch die Mafke nuwschlst. Hau bloß weg den Scheiß!«

Andererseits: Die einsame Gitarre von Ry Cooder. Klagend legt sich der Blues über die Wüstenlandschaft. Darin, winzig und verloren, ein Mann. So beginnt Wim Wenders’ Film Paris, Texas. Das Gesicht des Mannes ist genauso zerfurcht wie die Landschaft um ihn herum. Sofort ist spürbar: Viel ist schon passiert und jetzt ist da diese endlose Leere. Nullpunkt, aus dem heraus etwas Neues entstehen wird. Selten ist das so eindringlich dargestellt worden, wie in diesem Film.

Dass die Leere eine Faszination auf Künstler ausübt, ist sattsam bekannt. Meistens ist sie mit dem Horror vacui verbunden, der Angst vor der weißen Leinwand, dem leeren Blatt Papier. Anders die Düsseldorfer Künstlergruppe ZERO, deren Mitgliedern es genau darum ging, »eine Leerstelle zu schaffen, außerhalb« sich immer mehr verhärtender »Mechanismen und Ordnungsprinzipien.« ZERO sei »die unmessbare Zone, in der ein alter Zustand in einen unbekannten neuen übergeht.« Gegründet wurde ZERO aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und den Jahren nach 1945 heraus. Wenn heute in Deutschland, wie es so gerne und oft geschieht, die Corona-Krise mit den Herausforderungen nach dem Kriegsende verglichen wird, ist in der Politik eher selten die Rede von Neubesinnung. Krise können bedeutet hier zumeist die schnellstmögliche Rückkehr zu alten Verhältnissen. Politiker und Partypeople ähneln sich hier auf sehr seltsame Weise. Neu besinnen hieße, neuen Raum schaffen für neue Gedanken – Leere, ZERO, Mut. [um]

 

»Seine stille Intensität« trägt »mühelos den ganzen Film«, schrieb Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung über den 2017 verstorbenen Hauptdarsteller von Paris, Texas, Harry Dean Stanton. In der Anfangsszene von Paris, Texas haben Wenders und Cooder dem scheuen Schauspieler mit dem traurigen Blick ein Denkmal gesetzt.

 
 

1962 feierten sich auf den Düsseldorfer Rheinwiesen die Gruppe ZERO und ihre Anhänger mit einem Happening, um für die Kunstauffassung von ZERO zu demonstrieren. Der Regisseur Gerd Winkler hat das Ereignis filmisch festgehalten. Sein wunderbar wohlwollend humorvoller Kommentar ist ein fernseh-historisches Schmankerl allererster Güte.


Ohne Pause – keine Musik
 

Da-dam, da-dam. Zwischen 60- bis 70-mal pro Minute schlägt ein erwachsenes Herz – abhängig von Konstitution, Alter, Geschlecht und körperlicher wie seelischer Verfassung. Fällt der Herzrhythmus in den Pause-Modus, kann eine Herzdruckmassage üble Konsequenzen abwenden. Zum richtigen Rhythmus findet man durch Musik mit 100 bis 120 Schlägen pro Minute (bpm). Ideale Lebensretter: Stayin’ Alive von den Bee Gees mit 103 bpm oder Highway to Hell von AC/DC mit guten 116 bpm.

Bei seinem Stück 4’33 verzichtet der Komponist John Cage über die ganze Spieldauer von 4 Minuten und 33 Sekunden auf jeglichen Ton und stellt damit alle gewohnten Auffassungen von Musik infrage: Besteht die Komposition eigentlich aus Nichts? Oder sind die Geräusche, die man üblicherweise überhört, etwa die Klimaanlage oder das Hüsteln aus dem Publikum, die Musik? Spielt ein Musiker überhaupt, wenn er keine Töne produziert? Gibt es einen Unterschied zwischen den Sätzen und den Pausen dazwischen? Und was bedeuten keine Töne für das Urheberrecht?

Aus dem Rhythmus von Da und Nicht-Da erwachsen Musik, Bild, Zahl und Buchstabe. Ein A entsteht durch das Weglassen von allem, was nicht zum A gehört. Schwarz und Weiß, Wort, Pause, Wort. Absatz, Einzug, Punkt und Leerschritt. Pausen machen Sinn. Geraten die Pausen jedoch zu lang (etwa bei unglücklich gewähltem Blocksatz) ergeben sich sogenannte sinnschwächende oder sinnlose Pausen. Es ist gerechtfertigt, sinnlose Pausen, etwa in Wartezimmern oder an Bushaltestellen, sofort abzubrechen. [gw]


Zur Abwechslung mal Langeweile
 

»Nein, nein, ich geb Ihnen nicht die Hand,« sagt Oblomow. Er hat Angst vor Ansteckung. Ansteckung mit Aktivismus, er – »angehaucht von der großen Vergeblichkeit, ein Virusträger des philosophischen Nichts«, wie Wolfgang Schneider es beschrieb. Dabei sollten wir uns alle einmal kräftig von ihm anniesen lassen, mit einem Aerosol aus Müßiggang und Langeweile einnebeln: laut Studien ein echter Kreativitätsbooster. Eine Viertel Stunde lang Zahlen aus einem Telefonbuch herauszuschreiben löst laut der Psychologin Sandi Mann regelrechte Ideenturbulenzen aus, weil die Unterforderung unseres Gehirns die Gedanken reaktiv zum Fliegen bringt. Ähnliche Effekte zeigt auch die Meditation, und sie lässt sich auch noch alltagstauglich kombinieren: mit Wäschebügeln und Kartoffelschälen – schließlich ist Meditieren nichts anderes als vollständige Konzentration auf eine Aufgabe. Früher nannte man das Beten und hat dabei einen Rosenkranz durch die Finger gleiten lassen. Heute heißt es Achtsamkeit. Das Geheimnis ist die Fähigkeit, äußere Reize vollständig auszublenden, sich also in eine selbstgewählte Eremitage, die Monotonie, zu begeben – eigentlich der default-Zustand, nach dem wir gemäß dem Energieerhaltungssatz alle streben. Der polnische Psychologe Robert Zajonc hat unsere Sehnsucht nach dem Immergleichen enttarnt, als er den Mere-Exposure-Effekt dokumentierte, dieses Glücksgefühl, das wir spüren, wenn wir von vertrauten Dingen umgeben sind, von vertrauten Menschen, von vertrauten … – freuen Sie sich auch schon wieder auf den nächsten Freitag? Hatschi, Entschuldigung, ich wollte Sie nicht anstecken … [sib]


 
 

Kleines Lexikon: Wandel der Moden und des Designs

 

Küchengeräte

Jahrhundertelang taten sie unauffällig und zuverlässig ihren Dienst. Doch gerade als sie, dank Fast Food, Tiefkühlkost und Mikrowelle, eigentlich obsolet wurden, entdeckten Designer die altbewährten Küchengeräte. In der Folge stiegen Zahl und Variantenreichtum umgekehrt proportional zur realen Küchenarbeitszeit. Manche der Instrumente überstanden die Metamorphose fast nicht – und hier ist keineswegs die Rede von Philippe Starcks viel- (und auch in unserer letzten 8daw-Ausgabe) zitierten Zitronenpresse. Ebenso erstaunlich wie der Einfallsreichtum ist die Nachfrage, vor allem angesichts zahlloser elektrischer und elektronischer Hilfsmittel, die bereits manche Küche in ein Hightech-Laboratorium verwandelt haben. Die Aufrüstung schreitet weiter voran, man weiß ja nie, ob man nicht doch mal gerade dieses Gerät benötigt – und das gute Aussehen der Objekte sorgt doch auch für erheblichen Imagegewinn! [hel]

 

Kalender
Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion
 

2. Juli 2020 bis 3. Januar 2021

Anette Lenz im Museum Angewandte Kunst (MAK) in Frankfurt: à propos


Die in Paris lebende deutsche Designerin Anette Lenz hat für das MAK begehbare grafische Welten gebaut: Ihre für den öffentlichen Raum entworfene Plakatkunst wird als sinnlich-emotionaler Denkanstoß erlebbar. Sie nimmt dabei Bezug auf die an der klassischen Moderne orientierte und trotzdem teils etwas verwinkelte Architektur Richard Meiers – bereits im Eingangs­bereich findet sich ihr in viele Richtungen lesbares »Ich bin ein Teil des großen Ganzen und das ganze Große ist in mir«. Ihre durch­komponierten Plakate und Räume bewahren dabei die Poesie der Impro­visation. Jan Middendorp hat einen schönen Bericht zur Ausstellung im Londoner Eye Magazine  veröffentlicht.

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anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft

Ólafur Elíasson lässt Kinder Botschaften zum Klimaschutz sprechen


Eine Augmented-Reality-App von Ólafur Elíasson namens Earth Speakr lässt anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft jene zu Wort kommen, die immer noch viel zu selten gehört werden: Kinder! Alle zwischen 7 und 17 Jahren können mit dem Smartphone eine Botschaft zur Lage des Planeten aufnehmen – die Mimik wird als grafische Animation auf die Umgebung übertragen: Bäume, Tassen, Fußbälle und Früchte erhalten ein Gesicht, erwachen zum Leben und rufen in allen 24 europäischen Sprachen zum Klimaschutz auf. Nachrichten aus der ganzen Welt erscheinen gesammelt auf der Webseite des Projekts. Die Erwachsenen müssen nichts weiter tun als zuhören.


Das Fundstück der Woche

 
 

Der 1919 geborene Fotograf Yale Joel hat in seiner Zeit als Mitglied des legendären Fotografenstabs des LIFE-Magazins nicht nur die Stars der Nachkriegszeit portraitiert, sondern als Meister des Unmöglichen Kameraperspektiven geschaffen, die das gewöhnliche Auge normalerweise nicht sehen kann. Seine besondere Fähigkeit, mit den von ihm fotografierten Menschen sehr spontan eine tiefe innere Verbindung aufzubauen, ermöglichte eine besondere Atmosphäre, in der Bilder von seltener Intensität entstanden. Ein obskures Objekt seiner Begierde sind Gegenstände des Alltäglichen … die er neu interpretierte. Wie hier den Aschenbecher, der ein wenig wie die Karotte vor der Nase des Rauchers ewige Sehnsucht schafft.


 
 

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Hier stand in den bisherigen 8daw-Ausgaben ein Hinweis zur geschlechts­spezifischen Schreib­weise. Wir denken nach einer Leserrückmeldung gerade darüber nach, wie wir damit weiterverfahren. Weiterhin gilt: Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind  unabhängig von ihrer Schreibweise geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt – als Kooperations­partner sind zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag, der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikationsdesigner und die Typographische Gesellschaft München e.V. im Gespräch.

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Hirschgarten­allee 25, 80639 München, boriskochan.com, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 (facebookfacebookfacebook)
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Kochan & Partner GmbH, Hirschgarten­allee 25, 80639 München, news@kochan.de

Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sha], Herbert Lechner [hel], Nina Shell [nsh], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Übersetzungen: Rachel McLaughlin [rml]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Clever Reach.

Bildnachweis:
ZERO: Zero Foundation
Stern: ©Time Inc.


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