Wöchentliche Streifzüge mit Boris Kochan & Freund·innen rund um den Wandel in Gesellschaft & Kultur, Unternehmen & Organisa­tionen.
 
 
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8daw

ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel

mit Boris Kochan und Freunden am 17. Februar 2023

 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

»unsere Hoffnung heute ist die Krise« ist nicht nur der etwas sehr populär geratene Titel eines in dieser Woche erschienenen Buches mit bisher größtenteils unbekannten Interviews mit Bert Brecht. Im 1947 mit dem Dramatiker Kurt Hirschfeld geführten Gespräch verbindet er die erstaunlich originelle Entwicklung des amerikanischen Avantgarde-Theaters mit der Großen Depression – »damals war auch die große Zeit des künstlerischen Films.« Überragende »künstlerische Entfaltung« sei »beinahe gesetzmäßig mit einem ökonomischen Niedergang verbunden«. Ob wir nun heute angesichts gleich multipler Krisen mit einem bemerkenswerten kreativen Aufbruch zu rechnen haben, wage ich zu bezweifeln, auch wenn herausragende (Entwurfs-)Leistungen oft erst unter immensen Druck entstehen.

Es ist aber auch etwas anderes, was mich besonders beeindruckt am (auch in den Interviews gut) nachvollziehbaren Leben des Ausnahmedramatikers: Diese Lust an Entwicklung, an Veränderung – die in seinem Satz »Ich bin keine Person. Ich entstehe jeden Moment« gipfelt. Ein Stück war für ihn erst geschrieben, sobald es aufgeführt war. Und auch dann wurde weiter daran gearbeitet. Brechts Werk (und Leben) ist nicht Tatsache, sondern Tun. Denken ist eine Tätigkeit …

Mit tatkräftigen Grüßen zu einem nachdenklichen Wochenende!
Boris Kochan

 

In dieser umfangreich gewordenen 8daw-Doppelausgabe haben wir uns erlaubt, Bert Brecht und seine Mitstreiter in fantastische Gespräche zu verwickeln. Die Beteiligten lassen vieles offen, so dass ein größeres Bild erst im Kopf des Lesers entsteht … vielleicht sogar ein wenig wie bei Brechts epischem Theater durch Nachdenken.

 

Punk meets Brecht: Zeitlebens hat sich die Mode-Ikone Vivian Westwood für Frauenrechte eingesetzt. In ihren Entwürfen ist sie indes nie davor zurückgeschreckt, gerade durch die auch mal deftige Thematisierung von Geschlechtlichkeit zu provozieren – in alle Richtungen versteht sich. Für sie ging es bei aller politischer Reflektiertheit stets auch um die Freiheit der Kunst. Dabei bezog sie sich nur zu gerne auf ein Zitat des Philosophen Bertrand Russel: Orthodoxie ist das Grab der Intelligenz — und unorthodox war die Westwood bis ins Mark. Als sie 1996 für die Inszenierung von Brechts Dreigroschenoper am Wiener Burgtheater für das Kostümdesign verantwortlich zeichnete, war das natürlich ein Aufreger, der interessanterweise von der taz bis zur Welt für Begeisterung sorgte. Brecht lässt sein Stück in Anlehnung an die Beggar’s Opera im Londoner Glasscherbenviertel Soho des Viktorianischen Englands spielen, mit allem was dazu gehört: Bettler, Ganoven, Huren – für Westwood, die Britin mit dem Punk-Background, natürlich ein gefundenes Fressen. Dabei ließ sie etwa die Huren von Soho »als selbstbewusste, wilde Weiber geschnürt und bestrapst auf akrobatisch hohen Stöckelschuhen mit Plateausohlen« auftreten, in denen sie geradezu riesinnenhaft erschienen. Und natürlich durfte auch das berüchtigte, pofreie Kleid nicht fehlen. War das aber nicht irgendwie sexistisch? 17 Jahre später keimt die bange Frage auf, ob diese Kostüme von einem heutigen Publikum wohl noch widerspruchslos hingenommen würden? Denn spätestens, wenn ein Theaterklassiker wie Samuel Becketts Warten auf Godot abgesetzt wird, weil der Cast nur männliche Rollen vorsieht, ist klar, was für ein heißes Eisen die Geschlechterrollen auf den Theaterbühnen heute sind. Darüber muss im Einzelfall gestritten werden – was fraglos richtig und notwendig ist. Aber ob eine Vivian Westwood von alledem so begeistert wäre, wo sie doch angeblich eine Vorliebe für ein Bonmot von – ausgerechnet – Beckett hatte? Das lautet übrigens: »Worte sind die Kleider, die die Gedanken tragen«.


 

Wart doch, Bert!
Fantastisch: Valentin und Brecht im Volkstheater
 

Im Oktober 2021 eröffnet Christian Stückl mit Edward II vom Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe den Neubau des Münchner Volkstheaters. Rund um die Männerliebe des Königs mit dem »verführerischen Franzosen« Gavestone führt die Tragödie zu Tyrannei, Ausgrenzung, Folter und Mord. Sprechtheater, nah am Original, in schrillem Pink. Beinahe hundert Jahre früher brüten Bert Brecht und Lion Feuchtwanger über einer Adaption von Edward II. »Wir wollten eine Inszenierung ermöglichen, die mit der Shakespeare-Tradition deutscher Theater bricht: diesem klumpigen Monumentalstil, geliebt von bürgerlichen Spießbürgern«, sagt Bert Brecht gegen Ende seines Lebens über diese Arbeit. Es war sein erster Versuch, kollaborativ zu schreiben, seine erste Regiearbeit und die einzige an den Münchner Kammerspielen. Immer wieder besucht Karl Valentin seinen Freund Bert Brecht bei den Proben.

Szenenwechsel. Abends im Schmock, dem Volkstheater-Bistro. Am Tresen lungern zwei Männer. »Ein Lach- und Gruselkabinett hier?«, fragt der eine, eine zaundürre, lange Gestalt. Und setzt grantig nach: »Bei diesen ganzen modernen Stücken, da müsste am Schluss einer kommen, der die Leute am Krawattl packt und ihnen sagt: Sie – es ist Schluss.« Der andere – kleiner, im dunklen, nachlässigen Anzug, runde Brille – schaut den Dürren an: »Das moderne Theater muss nicht danach beurteilt werden, wie weit es die Gewohnheiten des Publikums befriedigt, sondern danach, wie weit es sie verändert«.  — »He! Ober! Schnaps!«, ruft der Lange und der Kleinere sagt: »Karl, weißt du noch? Die Szene mit den Soldaten in den Kammerspielen?« — »Du hast Was ist die Wahrheit über diese Soldaten? Was ist mit ihnen? gerufen«, erinnert sich Karl. — »Und Du hast Sie sind blass, sie haben Angst. geantwortet. Das war’s«, sagt Bert. — »Dann haben’s die Gesichter der Soldaten kalkweiß geschminkt.« — »Und ich hatte eine erste Ahnung vom epischen Theater. Das war bei Edward ...« — »Wart doch, Bert!«, ruft Karl. Aber Bert ist schon aufgestanden, sagt noch »Das Chaos ist aufgebraucht. Das war die beste Zeit.« Dann sind beide verschwunden. [gw]

 

1917 verlässt Bert Brecht seine Geburtsstadt Augsburg, um in München ein nachlässiges Medizinstudium zu beginnen. Hier entdeckt er Karl Valentin, der mit Liesl Karlstadt meist in Wirtschaften auftritt, und ist fasziniert vom skurrilen Humor und eigenwilligen Stil des Münchner Originals. Valentin wird für Brecht ein guter Freund. Am meisten beeindruckt ihn am Valentin-Theater, dass man dort rauchen und trinken kann. Denn der Raucher, so Brecht, nimmt die Haltung eines kühlen, kritischen Beobachters ein. Bert Brecht nennt sein episches Theater später Rauchtheater und im Zwischenspiel von Mann ist Mann fordert er das Publikum auf, »tüchtig zu rauchen«.


 

Nützlichkeit macht das Schöne schön …
 im fantastischen Gespräch mit BB
 

Nichts war ihm wichtiger als das Gespräch und als er mit keinem Menschen mehr reden konnte, nach seinem Herzversagen, stand er – in schwarzer Lederjacke, genüsslich den dicken Qualm seiner Zigarre in wabernden Wolken hervorstoßend – vor seinem Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, einen der beiden Totenschädel, die ihm ein Freund vor Jahren geschenkt hatte, unter dem Arm.

BB: »Er hat Vorschläge gemacht. Wir haben sie angenommen, das hatte ich mir als Grabinschrift gewünscht. Stattdessen steht da Bert Brecht.«:

: »Dein Name.«

BB: »Namen sind Schall und Rauch, ich selbst habe meinen eigenen verfremdet und so steht er nun da. Im Berliner Ensemble habe ich Menschen als Schauspieler eingestellt, die keinen Namen hatten, viel wichtiger waren mir ihre Vorschläge, die sie in die Arbeit einbrachten. Mit Vorschlägen beginnen Dialoge und ich bin kommunikativ, ich brauche das Gespräch zum Denken. Vorschläge können abwegig sein, egal – solange sie nur gut begründet sind!«

: »Aber Deine Vorschläge – so impliziert Dein Wunsch-Grabspruch – wären angenommen worden und hätten die Welt verbessert?«

BB: »Ich wollte die Welt nicht verbessern. Das Theater kann die Welt nicht verbessern. Aber es kann etwas bewegen, indem es den Menschen ihre Situation bewusst macht, sie unzufrieden macht, wo sie zufrieden waren, hungrig, wo sie satt waren. Indem es ent-täuscht.«

: »Eine Ent-täuschung, wie Du sie am 17. Juni 1953 erlebt hast? Als Du dem Staat übrigens auch schon Vorschläge gemacht hast, die er nicht befolgen wollte. Hast Du Dich nicht zum Clown einer sozialistischen Schmierenkomödie gemacht, will heißen: weggeschaut, als Dein wunderbarer real existierender Sozialismus zur Diktatur verkommen ist?«

BB: »Unter uns gesagt und weil ich sicher sein kann, dass Du mich nicht verrätst … Mit den ewigen Wahrheiten hatte ich es noch nie. Wie sagte Hegel? Die Wahrheit ist konkret. Sie passt in ihre jeweilige Zeit und verändert sich also mit der Zeit. Es gibt nichts Immeriges. Deshalb war es mir auf der Bühne wichtig, die Welt als eine sich wandelnde zu zeigen.«

: »Ha, das kenne ich! Das ist, wenn die Walküren in Wagners Rheingold in Strahlenschutzanzügen daherkommen und Geigerzähler vor sich hertragen … So was lieben ja die linken Regisseure, so was Systemkritisches halt …«

BB (lacht): »Ich halte nichts davon, die Dinge aus ihrer Zeit zu reißen, sie ästhetisch zu aktualisieren – sie sind in einem Kontext entstanden und mit ihm vergehen sie auch. Kostüme, Bühnenbilder, sie müssen nicht historisch korrekt sein, aber abbilden, wie sie in ihrer Zeit hätten sein können. Das ist meine Vorstellung von Ästhetik.«

: »Pfui, Ästhetik, ist das nicht Anbiedern beim Establishment?«

BB: »Nicht auf meiner Bühne, wo ich das Schöne mit dem Nützlichen, der Erkenntnis, verbunden habe. Nützlichkeit macht das Schöne schön, wobei das Empfinden dieser Schönheit ein Vorgang ist, eine Tätigkeit, ein Genuss … Nachdem Du lange genug auf meinem Schreibtisch gestanden hast, hast Du vermutlich mitbekommen, wie ich einmal den Satz notiert habe: Ich bin keine Person. Ich entstehe jeden Moment, bleibe in keinem … Denn auch der Mensch verändert sich ständig, wobei die Krönung menschlicher Selbsttätigkeit eben der Genuss ist.«

 (verlegen): »Ähm, ja, das habe ich allerdings mitbekommen. Von meinem Platz auf dem Schreibtisch aus.«

BB (wütend): »Mein Privatleben geht niemanden etwas an! Das hat andere nur zu interessieren, wenn es beispielhaft für größere Zusammenhänge steht!«

 (hartnäckig): »Tut es ja in diesem Fall. Lust, Spaß an Veränderung … Und die Naivität einiger dieser Mädels, die Du verführt hast – oder gut, damit Dich keiner fälschlich in die hässliche Me-too-Kiste steckt – die sich verführen lassen wollten, hast Du diese Naivität nicht letztlich auch mit ins Theater genommen?«

BB: »Nun gut, Brecht kommt zwar vor Recht, wie ich gerne zitiert werde … Aber es stimmt: Es hat mich schon immer gereizt, die Philosophie, das Hochgeistige, mit der schlichten Naivität des Volkstheaters zu verbinden. Und Humor ist allemal das wirkungsvollere Mittel, um Tragisches ins Bewusstsein zu rücken. Du kennst meine Meinung, dass die Tragödie die Leiden der Menschen häufiger auf die leichte Schulter nimmt als die Komödie. Charlie Chaplin war ein Meister darin. Und mein großer Lehrer Karl Valentin. Aber jetzt bin ich wieder, wie’s meine Art ist, vom Hundertsten ins Tausendste gekommen. Ich freue mich einfach so, mal wieder mit jemandem reden zu können. Weil die Helene neben mir (deutet auf das Grab), die spricht nicht mehr mit mir …«

: »Dann lass uns doch noch gemeinsam einen Film anschauen, damit Du Dich langsam ans ewige Schweigen gewöhnst: Euren Stummfilm! Meinem Schädel kann ja nicht mehr viel passieren bei dem alten Halsabschneider in Mysterien eines Frisiersalons.« [sib]


 

Wenn Komponisten über politische Fragen ignorant hinwegmusizieren …
Ulrich Müller im fantastischen Gespräch mit Brecht-Komponisten
 

Ich bin einigermaßen nervös. Schließlich ist man ja nicht alle Tage mit gleich vier berühmten Komponisten verabredet: Paul Hindemith, Hanns Eisler, Kurt Weill und Paul Dessau, vier Großkaliber, die alle mit Brecht zusammengearbeitet haben und mir Auskunft über sein Verhältnis zur Musik geben wollen. Verabredet sind wir im Bistro der Ständigen Vertretung im Berliner Flughafen. Die Herren sind – wie immer – auf der Durchreise. Als ich endlich dort ankomme, sind drei von Ihnen schon da und amüsieren sich gerade über eine Fotografie, die an der Wand über ihrem Tisch hängt: Willy Brandt spielt Mandoline, hemdsärmelig, eine Zigarette lässig im Mundwinkel.

»Perfekt«, höre ich Eisler sagen, »fast so, wie ich mir den idealen Vortrag meiner Arbeiterlieder gewünscht habe: Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentaschen, leicht grölend, damit es nicht zu schön klingt und niemand erschüttert wird.« Alle drei lachen, als ich an ihren Tisch trete und mich vorstelle. »Wo haben Sie denn Herrn Hindemith gelassen?«, frage ich.


Eisler (mit verächtlichem Tonfall): »Hindemith …« Weill schüttelt resigniert den Kopf.

Dessau: »Hindemith ist schon abgereist.«

Eisler: »Es gab Stunk.«

Weill: »Hanns konnte es einfach nicht lassen, über seine Zusammenarbeit mit Gottfried Benn zu lästern.«

Ich: »Ach.«

Eisler: »Mit Recht — und außerdem hat Bidi …, hat Brecht selbst die Zusammenarbeit mit Hindemith als Missverständnis bezeichnet.«

Dessau: »Immer die ollen Kamellen …«

Eisler (murmelt grummelig): »Hindemith …«

Ich: »Meine Herren, wir wollten aber eigentlich über Brecht sprechen.«

Dessau: »Tun wir doch schon. Die Frage ist doch die: War Brecht nun ein musikalischer Dichter, weil er sogar beim Notieren seiner Prosa sang, oder sang er seine Prosa, weil er musikalisch war?«

Eisler: »Ausgesprochen blöde Frage. Er war natürlich beides: Dichter und Musiker in einem. Schließlich ist er ja schon in den Augsburger Tagen wie Wolf Biermann mit seiner Gitarre rumgezogen und hat seine Lieder zum Besten gegeben.«

Weill: »Naja. Ich denke, er war schon mehr Dichter als Musiker. Nicht umsonst haben wir am Ende fürchterlich Krach gekriegt, weil der Text immer unbedingt Vorrang vor der Musik haben musste. Paul, sag' doch auch was dazu!«

Dessau: »In gewisser Weise …«

Eisler (sarkastisch): »In gewisser Weise?«

Ich: »Meine Herren, bitte!«

Dessau: »… hat Kurt Recht.«

Eisler (immer noch sarkastisch): »Soso …«

Dessau (sichtlich genervt): »Ach Hanns, du hast einfach nie verknust, dass ich dir bei Bert Konkurrenz gemacht habe. Hättest Mutter Courage und Der gute Mensch von Sezuan wohl lieber selber vertont, oder?«

Eisler (redet sich in Rage): »Unfug! Immerhin haben wir Die Maßnahme zusammen gemacht und Kuhle Wampe und Massen von Arbeiterliedern und, und, und!«
Weill grinst.

Eisler (zu Weill): »Da hast du natürlich gut lachen, mit deinen ganzen Hits! (Er intoniert übertrieben gassenhauerisch die Melodie von Mackie Messer) Kein Wunder, dass du als Starkomponist am Broadway mit dem ganzen Musical-Kram geendet bist.«

Weill: »Moment mal! Immerhin sind ja auch zwei deiner Filmmusiken für Oscars nominiert worden.«

Eisler: »Die Filme waren teilweise ziemlicher Mist, das gebe ich zu. Aber die Musik …«

Dessau: »Wenn ich vielleicht meinen Satz von vorhin beenden dürfte?«

Ich: »Herr Weill hätte Recht, sagten sie.«

Dessau: »Genau. Schließlich hat Brecht selbst gesagt, dass es ihn unendlich nervt, wenn wir Komponisten über politische Fragen ignorant hinwegmusizieren

Weill: »Und deswegen hast du dich auch immer ganz brav untergeordnet.«
Dessau seufzt.

Eisler: »Brecht ging es um eine Synthese, um die ideale Balance zwischen Text und Musik. Er war davon überzeugt, dass er nur so seine, seine …«

Weill (mit leichter Ironie): »Message?«
Dessau und Eisler blicken beide einen Moment lang irritiert zu Weill, der weiterhin grinst.

Eisler: »Meinetwegen. Ich sage lieber seine politische Botschaft. Und um die möglichst direkt rüberzubringen, war für ihn nun mal die Musik das ideale Transportmittel.«

Dessau: »Und wir waren nur die Transporteure.«

Weill: »Aber trotzdem hat er gesagt: Die Musik ist der wichtigste Beitrag zum Thema

Eisler (dozierend): »Weil es ihm so sehr um den Klang ging: und zwar den Klang der Musik und den Klang der Sprache, denn schließlich war für uns alle am Ende des Tages die treibende Kraft, gute – und das heißt auch gesellschaftlich relevante – Kunst zu machen und nicht nur Propaganda. Außerdem hat sich Brecht nie einer Kritik an seinen Texten verweigert, wenn man sich denn die Mühe gemacht hat, sie sorgfältig zu begründen

Dessau und Weill (unisono): »Hm …«

Dessau (blickt auf die Uhr): »Meine Herren, das war’s für heute. Wir müssen dringend weiter!«

Und schon sind die drei auch wieder weg. Ich schaue noch ein Weilchen Willy Brandt mit seiner Mandoline zu und überlege mir, ob jetzt wohl eine Currywurst und ein Glas Bier das Passende wären. [um]

 

Ob Brecht ohne die Musik von Eisler, Dessau und Weill wohl so berühmt geworden wäre? Es ist nicht nur die Zusammenarbeit mit Brecht, die die drei Komponisten vereint. Alle drei, waren sie jüdischer Abstammung und gerieten in die erbarmungslosen Mühlen der Nazidiktatur. Alle drei mussten emigrieren und landeten schließlich in den USA. Eisler, der nie einen Hehl aus seiner politischen Einstellung machte, wurde jedoch Ende der vierziger Jahre ebenso ein Opfer der antikommunistischen Hetze in den USA wie Paul Dessau, der der Kommunistischen Partei angehört hatte. Beide wurden nach ihren Vernehmungen durch den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe ausgewiesen. Brecht selbst ist seiner Ausweisung zuvorgekommen. Weill – obwohl selbst linkspolitisch eingestellt – war mit politischen Äußerungen zurückhaltender, durfte in den USA bleiben und erhielt schließlich sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft. Für Eisler und Dessau war eine Rückkehr nach Westdeutschland ausgeschlossen und so blieb nur die DDR, deren Entwicklung als sozialistischem Widerpart der BRD sie mitgestalten wollten. Unabhängige Geister, wie sie jedoch waren, konnte es nicht ausbleiben, dass sie – obwohl nach außen hin scheinbar vom Regime beifällig akzeptiert – auch dort missliebig wurden. Ein Leben zwischen den Stühlen.

 

Unumstritten ist, dass Paul Hindemith einer der wichtigsten Komponisten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war. Umstritten, weil durchaus auch ambivalent, ist jedoch die Rolle, die er im Dritten Reich gespielt hat. Hindemith machte dort zunächst eine steile Karriere und wurde sogar in die Reichsmusikkammer gewählt. Seine Musik jedoch geriet zunehmend in die Kritik der Nationalsozialisten und wurde als kulturbolschewistisch verfemt, was schließlich dazu führte, dass er alle seine Ämter niederlegte. Besonders kritisch wird heute Hindemiths Zusammenarbeit mit dem Dichter Gottfried Benn gesehen, der mit Wissen Hindemiths dem Nationalsozialismus nahestand.

 

So ziemlich jede·r hat schon mal irgendwo einen Brechtsong gehört. Fast völlig unbekannt sind jedoch die rein musikalischen Werke der drei Komponisten. Insbesondere die des Schönberg-Schülers Hanns Eisler. Deswegen an dieser Stelle als kleines Kontrastprogramm seine Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben. Streng Zwölftönig komponiert, ist es eigentlich ein zeitloses Stück über die Melancholie.


 

Unsere Hoffnung heute ist die Krise
Ausschnitte aus den von 1926 bis 1956 mit Bert Brecht geführten 91 Interviews
 

»Habe in München Medizin studiert, ich wollte Chirurg werden, aber dann kam das Theater. Es machte mir Riesenspaß und ich verdiente mehr Geld.«
(Deutschland 1927)

»Die einzige Pietät dem Publikum gegenüber ist, seinen Verstand möglichst hoch einzuschätzen. Es ist grundfalsch, an die Naivität von Leuten zu glauben, die mit siebzehn Jahren schon erwachsen sind. Ich appelliere an den Verstand.«
(Deutschland 1926)


 

»Der Kampf der fortschrittlichen Kunst – also auch des Theaters – muss zuerst gegen die Dummheit geführt werden.«
(USA 1945)

»Sollte Chaplin Napoleon spielen, sähe er noch nicht einmal aus wie Napoleon, er würde objektiv und kritisch aufzeigen, wie sich Napoleon in den verschiedenen Situationen verhielte, in die ihn der Schriftsteller untergebracht hat. (…) Für mich sind die großen Komiker immer die besten Charakterdarsteller gewesen.«
(Dänemark 1934)


 

»Wir haben eine völlig neue Psychologie bekommen. (…) Sie hat Theorien mit dem gesamten amerikanischen Geschäftssystem gemeinsam – der ganzen modernen Reklame. Nach ihr werden überall auf der Welt Verkäufer geschult, um das Verhalten ihrer Kunden zu beeinflussen. (Beispiel: Ein Mann geht, leicht angeschlagen, in ein Geschäft und kommt, schwer krank, als Besitzer eines Autos heraus).«
(Dänemark 1934)

»In Deutschland diskutieren die Philosophen das Drama. (…) Dabei muss ich sagen, dass die Kritiker vernünftiger sind als die Philosophen. Sie diskutieren über das, was sie sehen, die Philosophen diskutieren sich gegenseitig.«

(USA 1935)


 

»Was ich heute an der deutschen Kunst, der Bühnenkunst, beklage, ist ihr fehlender Humor. Über Satire brauchen wir erst gar nicht zu reden.«

(Finnland 1940)

»Es interessiert mich nicht, Politik als solche auf der Bühne darzustellen. Es interessiert mich, die Verwicklungen und Probleme des modernen Lebens darzustellen, genauso wie es einen Physiker interessiert, das, was im Inneren des Atoms geschieht, zu zeigen.«

(USA 1935)


 

»Für heutige Menschen sind Fragen wertvoll allein der Antworten wegen. Sie interessieren sich nur für Vorkommnisse und Zustände, denen gegenüber sie etwas tun können, eine Veränderung herbeiführen können.«

(DDR 1955)

»Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor«

(Deutschland 1926)


Das Fundstück der Woche

 
 

Gute Kommunikationsarbeit lebt davon, Gegensätze zusammenzubringen, Unvereinbarkeiten zu überbrücken, scheinbar Entlegenes neu zusammenzudenken, ja selbst noch das Zufällige einzubeziehen und aus alledem ein neues, stimmiges Ganzes zu kreieren. Geradezu symbolhaft dafür ist dieses bemerkenswert vielschichtige Arrangement mit seinen höchst komplex ineinander verwobenen Bedeutungsebenen, das ein fotografierender Alumnus ausgerechnet im Eingangsbereich zu den neuen Räumlichkeiten von Kochan & Partner in der Steinerstraße in München gefunden hat.


 
 

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In der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem Thema geschlechter­spezifische Schreib­weise beschäftigt. Im Ergebnis fanden wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittel­punkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lese­fluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Text­lücken reißt wie der Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografie­qualität also eine bessere Alter­native, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mittel­punkt oder eine andere Form benutzen. Alle personen­bezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechts­neutral zu verstehen.


8daw ist der wöchentliche News­letter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen. Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die lang­jährige Tradition der Netzwerk­pflege mit außer­gewöhnlichen Aus­sendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen – Kooperations­partner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen Kommunikations­designer und die Typographische Gesellschaft München (tgm).

 

Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Steinerstraße 15c, 81369 München, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 ( facebook facebook facebook)
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Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel]Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk] mit Unterstützung der Bild­redaktion von Kochan & Partner; Homepage: Pavlo Kochan [pk]; Design/Technik: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger über TypeTogether; Versand über Mailjet.

Bildnachweis:
Bilder: © Manfred Klimek 
Fundstück: © Alexander de Werth


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